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auch.«
»Ehrlich?«
»Simon and Garfunkel, bei solchen Leuten kann man wirklich verstehen, über was sie reden. Aber bei Shakespeare nicht.«
Wir erreichten die Schule. Ich versprach, ihr Bookends zu leihen, und wir verabschiedeten uns und gingen getrennter Wege. Selbst nachdem wir auseinander gegangen waren, fühlte ich mich immer noch wie auf einer Blumenwiese.
Adama war überrascht, als ich plötzlich vorschlug, wir sollten die Schule verbarrikadieren . Irgendwie stand ich unter dem Eindruck, dass Kazuko Matsui gesagt hätte, sie fände Jungs attraktiv, die mit Barrikaden und Demonstrationen zu tun hatten.
»Na ja, wir haben Masutabe sowieso so was versprochen«, sagte er. »Ich glaube, es könnte nicht schaden mal gelegentlich bei den Politicos reinzuschauen.«
DANIEL COHN-BENDIT
Vereinigtes Campus Aktions Komitee der Nördlichen Oberschule von Sasebo . Das war der Name der Organisation, die von Otaki und Narushima geleitet wurde, und ihr Unterschlupf befand sich über dem Bahnhof von Sasebo. Wenn ich »über« sage, meine ich damit nicht, dass er sich im zweiten Stock des Bahnhofs befand. Sasebo ist, wie Nagasaki, eine Stadt mit einer Menge Hügel. Es ist ein vollkommen natürlicher Hafen mit Bergen hinter der Stadt, die sie vor Wind schützen, und einer flachen, geschwungenen Küste - ein schmaler Streifen ebenes Land, der mit Kaufhäusern und Kinos und Einkaufsstraßen und natürlich der amerikanischen Militärbasis vollgestopft ist. Die Basis nimmt den besten Teil des Landes ein, wie in jeder Stadt, in der es eine gibt.
Das Hauptquartier des VCA-Komitees der Nördlichen Oberschule befand sich im zweiten Stock eines Zigarettengeschäfts, oben auf einem langen, steilen Hügel nördlich des Bahnhofs.
»Hört dieser Hügel denn niemals auf?«, sagte Adama. Schweiß tropfte von seinem Gesicht. Ungefähr achtundneunzig Prozent der Bevölkerung lebten auf diesen Hängen. Die Kinder krabbelten die Hügel hinunter, um in der Stadt zu spielen, und trabten dann müde und hungrig zurück nach Hause.
Wie die meisten Zigarettengeschäfte konnte auch dieses eine alte Dame vorweisen, bei der man nicht ganz sicher sein konnte, ob sie noch lebte.
»Guten Tag!«, riefen wir fröhlich, aber sie zuckte nicht einmal mit der Wimper. Ich dachte, sie sei tot. Adama dachte, sie sei eine Wachsfigur, eine Art Ausstellungsstück. Sie schlief nicht, sie saß zusammengesunken da, die Hände in ihrem Schoß, und ihre Augen waren geöffnet. Wir machten uns ihretwegen einige Sorgen und beschlossen, zu warten und zu sehen, ob sie blinzelte, aber ihre Augenlider hingen so weit runter, wie Augenlider nur hängen können, und wir mussten genau hingucken. Unter dem Dachvorsprung war ein Beet mit verwelkten Cosmeen oder etwas Ähnlichem. Der Wind spielte im dünnen Haar der alten Dame. Gerade als wir zu dem Schluss gekommen waren, dass sie wirklich eine Wachsfigur sein musste, sackten ihre Augenlider herunter, schlossen und öffneten sich wieder. Adama und ich lächelten uns an.
An der Seite der Treppe neben der Ladentür hing ein Schild, auf dem »Forschungsgruppe für Ökonomie der Nördlichen Oberschule« stand - wenn man ein regenverschmiertes Stück Zeichenpapier ein Schild nennen kann. Wie stiegen die Treppe rauf. Drinnen war es dunkel. Ich fragte Adama, warum die Beleuchtung in japanischen Gebäuden so schlecht sei, und er sagte, es käme daher, dass die Japaner so fürchterliche Sexmonster seien. Vielleicht.
Im Unterschlupf war niemand. Es war ein Raum in der Größe von zwölf Matten. Poster von Che Guevara, Mao Tse-Tung und Trotzki bedeckten die Schiebetüren. Auf einem Schreibtisch stand ein Vervielfältigungsapparat, und einige ernsthaft aussehende Taschenbücher, eine billige Akustik-Gitarre, ein Megaphon und Ausgaben der Zeitschrift der Befreiungsfront der Studenten und Arbeiter lagen herum.
»Sieht irgendwie obszön aus, nicht?«, sagte Adama. Er betrachtete den Futon, der auf dem Boden ausgebreitet war, und die Kissen und Papiertaschentücher, die rundherum verstreut lagen. Es hat vielleicht etwas mit der Beleuchtung in japanischen Gebäuden zu tun, aber diese Räume von Radikalen haben immer etwas Anrüchiges an sich. Wenn es einen Futon gab, dann bedeutete das, dass die Leute hier manchmal die Nacht verbrachten. Die politische Fraktion schloss auch einige Oberschülerinnen mit ein - offenbar keine Schülerinnen von der Nördlichen, sondern von der Handelsschule. Es gab keine obszönere Kombination als einen
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