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69

69

Titel: 69 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ryu Murakami
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einem Velvet-Underground-Konzert in einem Ballsaal in New York aufgenommen worden. Auf dem Tanzboden sah man Kühe und Schweine, Glasbehälter voller Mäuse, Papageien auf Sitzstangen, einen Schimpansen an einer Leine und sogar zwei Tiger in einem Käfig.
    »Ziemlich cool, was?«
    »Tiger und Affen und Papageien - ja, das ist cool. Aber Hühner? Das sieht ja aus wie eine Legebatterie.«
    »Da liegst du aber falsch.« Wie immer, wenn ich den Intellektuellen spielte, wählte ich meine Worte sorgfältig. »Das Wichtige daran ist der Geist, der dahinter steht. Lou Reed hat Vögel und Tiere in diesem Konzert eingesetzt, um das Chaos in der heutigen Welt zu verdeutlichen. Wir könnten zumindest eine Geste in die gleiche Richtung machen.«
    Adama war meine Vorliebe, Ideen von anderen zu klauen, inzwischen mehr als bekannt. Er schnaubte und sagte:
    »Mit Hühnern? Du willst mit Hühnern auf das Chaos in der Welt hinweisen?«
    Aber wenn man etwas von Adama behaupten konnte, dann, dass er offen für neue Ideen war. Er meinte, er würde einen Mann anrufen, den er kannte und der eine Hühnerfarm in der Nähe von Mount Schlackehalde hatte. Adama war loyal - allerdings nicht mir gegenüber. Er war gläubig, aber ich war nicht derjenige, an den er glaubte. Er glaubte an etwas, das in der Luft lag, die wir in den späten sechziger Jahren atmeten, und diesem Etwas gegenüber war er loyal. Es war allerdings schwierig zu erklären, was dieses Etwas war.
    Was immer es auch sein mochte, es machte uns jedenfalls frei. Es rettete uns davor, an ein einzelnes Wertesystem gebunden zu sein.

    Am selben Abend besuchten wir die Farm. Sie lag genau in der Mitte einer riesigen Fläche von Kartoffelfeldern. Der Gestank nach Hühnerkacke war überwältigend, und aus der Ferne klang der Lärm von Hunderten von Hennen wie ein gestörter Radiosender.
    »Was wollt ihr damit?«, fragte der Mann, dem das Ganze gehörte, während wir drinnen herumgingen. Er war klein, kahlköpfig und mittleren Alters und sah genauso aus, wie man sich einen Hühnerzüchter vorstellt.
    »Wir brauchen sie für ein Theaterstück.«
    »Ein Stück? Was für ein Stück, eines über Hühnerzüchter?«
    »Nein, es ist von Shakespeare. Und man kann es auf keinen Fall ohne Hühner aufführen.«
    Der Hühnerzüchter wusste nicht, wer Shakespeare war. In einer dunklen Ecke am hintersten Ende des Schuppens hockten ungefähr zwanzig apathische Hühner eng beieinander und ließen mutlos die Köpfe hängen. Der Mann begann, sie zu packen und in einen Futtersack zu stecken - immer zwei Hühner pro Sack. Die Vögel taten kurz so, als würden sie Widerstand leisten, schlugen ein paarmal mit den Flügeln, gaben dann auf und erschlafften.
    »Furchtbar entspannt, diese Hühner«, meinte Adama.
    »Sie sind krank«, teilte uns der Mann mit.
    »Krank?«
    »Ja, ihr könnt ja sehen, dass sie nicht allzu viel Schwung haben.«
    »Es ist ... es ist aber keine Krankheit, mit der sich Menschen anstecken können, oder?«, fragte ich.
    Der Mann lachte. »Macht euch deswegen keine Sorgen. Nach eurem Stück könnt ihr ihnen die Hälse umdrehen und sie essen, wenn ihr wollt. Euch wird nichts passieren. Mit krank meine ich ... also, wenn das Menschen wären, dann würden sie zu einem Seelenklempner gehen, denke ich mal.«
    Er erklärte uns, dass unter den Hühnern immer ein paar waren, die sich plötzlich hängen ließen und nicht mehr fraßen.

    Adama und ich standen an der Bushaltestelle und warteten, während die Sonne Richtung Horizont sank und unsere Schatten auf der Straße langzog. Die Hühner zappelten und raschelten hin und wieder in den vier Säcken, die wir mit uns trugen.
    »Adama, ich weiß, ich habe gesagt, ich wollte sie möglichst billig, aber schau dir diese Vögel an. Die sind praktisch tot.«
    Sogar uns war ein bisschen mulmig dabei, mit neurotischen Hühnern herumzuziehen. Die Gegenwart von Menschen - oder Vögeln oder Hunden oder Schweinen oder was auch immer -, die kein Fünkchen Leben in sich hatten, konnte einen schon runterziehen.
    »Hör dir das an! Du wolltest nicht so viel ausgeben, weil du Matsui versprochen hast, sie nach dem Festival zum Steak essen einzuladen.«
    »Was? Wer hat dir denn das erzählt?«
    »Sato.«
    »Sato, richtig, ja richtig. Ich wollte dich und Sato natürlich einladen, mit uns zu kommen.«
    »Quatsch. Du wolltest das Geld von den Eintrittskarten nehmen und allein mit Matsui Steaks essen.«
    »Nein, warte, du verstehst nicht, was ...«
    »Vergiss die Ausreden.

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