71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil
Stimmen hörte.
Er wußte das Weib, das er über alles liebte, dort, um welcher willen er Verbrecher geworden war. Hier sah er die Gendarmen, und nun war es ihm fast gewiß, daß man auch sie gefangen nehmen werde.
Da erdröhnten drinnen die zwei Schüsse.
„Vorwärts, hinein!“ gebot der Anführer.
Die Polizisten schlossen schnell auf und drangen in das Zimmer, ihren Gefangenen mit sich hineinzerrend. Die Schüsse hatten zwar Pulverdampf verursacht, aber man konnte trotzdem alles deutlich erkennen. Soeben deutete Fritz mit der Hand nach der Tür und rief der Bäuerin entgegen:
„Da, schau mal hier!“
Sie ließ die Hand mit der bereits zum Schuß erhobenen Pistole sinken und starrte die zehn Pistolen an. Sie war steif und unbeweglich, wie eine Statue. Der Anführer trat zu ihr und sagte:
„Kronenbäuerin, Sie sind meine Gefangene!“
„Weshalb?“ fragte sie, jedenfalls nur ganz mechanisch, ohne alle bedachte Absicht.
„Weil Sie der Samiel sind!“
Da ging ein plötzliches Zucken durch ihren Körper.
„Der Samiel?“ rief sie. „Den wollt ihr arretieren? Nein, den bekommt ihr noch lange nicht. Lebendig läßt er sich von euch nicht anrühren!“
Sie erhob, ehe man sie zu hindern vermochte, die Hand mit der Pistole, hielt sich die Mündung vor den Kopf und schoß beide Läufe zugleich auf sich ab.
Alles eilte herbei – sie war nicht umgestürzt. Die Pistole fallen lassend, schlug sie mit den Armen um sich und stieß einen schrillen, entsetzlichen Schrei aus. Dann schlug sie die Hände vor das Gesicht und sank stöhnend zu Boden.
„Herrgott!“ rief der Bauer. „Was hat sie getan! Sie hat sich nicht getötet, denn der Fritz hat die Kugeln herausmacht gehabt, sonder sie hat sich nur die Augen zerschossen!“
Sie hörte das. Den Kopf erhebend, fragte sie:
„Was ist's? Was sagst? Leb ich, oder bin ich tot? Hab ich nicht zwei Kugeln im Kopf?“
„Nein“, antwortete ihr Mann. „Der Fritz hat die Kugeln heimlich mit dem Krätzer entfernt.“
„Wann?“
„Gestern nacht, als die Pistolen draußen auf dem Beet im Garten lagen.“
„Das ist nicht wahr. Ich bin tot. Es ist ja finster um mich her, ich sehe nix.“
„Weilst dir das Pulver in die Augen schossen hast!“
„Das – Pulver – in – die Augen – schossen –“, wiederholte sie wie mechanisch, als ob sie sich jedes Wort einzeln überlegen müsse, was es zu bedeuten habe.
Der Anführer der Gendarmen bückte sich zu ihr nieder und sah ihr Gesicht an.
„Ja“, erklärte er, „es ist so. Wir brauchen sie nicht zu fesseln; sie wird uns willig folgen müssen.“
Da erklang ein Geheul, wie von einem wilden Tier. Der Bastian stieß es aus. Er riß sich von denen, die ihn hielten, mit aller Kraft los und stürzte sich zu den Füßen seiner Herrin nieder.
„Kätherl, mein Kätherl!“ schrie er. „Lebst oder lebst nicht? Wach auf! Ich bin da, der Bastian, denst so liebhast. Wach auf, denn ich mag ohne dich auch nicht leben. Ich will sterben mit dir!“
Er mußte mit Gewalt von dem Weib gerissen und in das Vorstübchen geschafft werden. Er schrie und heulte aber immer in einem Atem fort und hörte auch nicht auf, als der König mit dem Geheimrat kam und an ihm vorüberschritt.
Der hohe Herr hatte sich, als sich die Katastrophe vorzubereiten begann, in die Zimmer des Arztes zurückgezogen, um den Ausgang zu erwarten. Als erst die zwei Schüsse fielen und dann die nächsten zwei, welche aber wie einer klangen, konnten sich die beiden sagen, daß die Entscheidung, die überhaupt gar nicht zweifelhaft sein konnte, jetzt erfolgt sei. Sie begaben sich darum hinüber an den Ort der Arretur. Dort standen alle im Kreis um den weiblichen Samiel. Die Bäuerin war vor Schreck darüber, daß sie nicht tot, sondern blind sei, in Ohnmacht gefallen.
Der Geheimrat übersah mit einem einzigen Blicke das Geschehene; einige Worte reichten hin, ihn zu informieren. Er kniete nieder und untersuchte das Gesicht der Ohnmächtigen. Als er sich erhob, erklärte er:
„Jedenfalls für immer blind!“
Dieses Wort wirkte wie ein Gerichtswort. Es trat eine tiefe Stille ein. Dann sagte der Gendarmerieführer ergriffen:
„Gott läßt sich nicht spotten. Sie hat's gewollt!“
Der Bauer aber faltete die Hände und stöhnte:
„Wann's eine göttliche Gerechtigkeit gäb, so müßt der Samiel so blind werden wie du! So hat sie sagt! O mein Herr und mein Gott, sei gnädig und barmherzig mit ihr, so wie ich ihr auch vergeh!“
SIEBENTES
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