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71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

Titel: 71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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KAPITEL
    Herzenskrämpfe
    Die in Wien so wohlbekannte Equipage des Grafen Senftenberg rollte, von zwei prachtvollen Goldfüchsen gezogen, über den Kolowrat-Ring am Stadtpark vorüber, durch den Stubenring über die Aspernbrücke, bog dann links in die untere Donaustraße und lenkte rechts in die große Mohrengasse ein, wo sie vor einem sehr ansehnlichen Haus hielt, welchem es anzusehen war, daß es nur von feinen, wohlsituierten Leuten bewohnt werde.
    In dem Wagen saßen drei junge Herren, welche sich während der Fahrt in einer mehr als lebhaften Unterhaltung befunden hatten. Obgleich es noch nicht die Zeit des Diners war, schienen sie sich doch bereits in eine sehr animierte Stimmung getrunken zu haben. Sie lachten überlaut und machten sich ganz und gar nichts aus dem Lächeln, mit welchem die Passanten ihnen nachblickten.
    Nur der eine von ihnen, der Graf selbst, verriet die glückliche Gabe, trotz des kleinen Rausches, den er besaß, die Würde seines Standes leidlich zu bewahren. Die beiden anderen aber waren so ausgelassen, daß er sie öfter durch ein wohlgemeintes „Na, na, pst, pst“ in engere Schranken verweisen mußte.
    Sie kamen aus einem jener Frühstückslokale, in denen die gutsituierte Jugend ihre Guldennoten anlegt, um dafür im Alter ein mehr oder weniger ausgiebiges Podagra einzuheimsen. Dort hatten sie einige Dutzend Austern verzehrt, mehrere Flaschen Sekt dazu ausgestochen, dann ein kleines Spielchen gemacht, zu welchem natürlich nur ein schwerer aber ‚süffiger‘ Burgunder getrunken werden konnte, und dann hatte es sich herausgestellt, daß Champagner und Burgunder eigentlich nicht gut harmonieren. Die beiden so verschiedenen Gaben des Bacchus waren in den Köpfen der Zecher miteinander in Konflikt geraten, und darüber war den letzteren der sowohl jungen als auch alten Leuten so wohlstehende Ernst verlorengegangen.
    Jetzt nun hielt die Equipage vor jenem Haus der Mohrengasse. Der Diener sprang von dem hinteren Tritt herab und öffnete den Wagenschlag. Er ließ dabei jenes ergeben-pfiffige Gesicht sehen, welches vertraute Domestiken zu zeigen pflegen, wenn sie die Ehre haben, Zeugen einer kleinen, liebeswürdigen Schwachheit ihrer Herren zu sein.
    „Hier scheiden wir also, mein Herren“, sagte der Graf. „Steigen Sie mit aus, Baron, oder fahre ich Sie auch nach Ihrer Wohnung?“
    Derjenige der beiden anderen, an welchen die Frage gerichtet war, trug einen sehr eleganten, ja ‚feschen‘ Wiener Anzug nach dem allerneuesten Schnitt und Muster. Die Linke war behandschuht, die Rechte nicht. An den Fingern dieser letzteren glänzten mehrere Ringe, deren Steine nur ein ganz besonderer Kenner für wertlose Nachbildungen hätte erklären können. Er war, das sah man auf den ersten Blick, ein ausgesprochener Dandy und hatte, wenn auch jetzt, doch gewöhnlich die nachlässige, gelangweilte Haltung jener Flaneurs, welche sich in ihren müßigen Stunden – und jede Stunde ist bei ihnen müßig – auf den eleganteren Straßen herumtreiben und dem Leben keinen besonderen Reiz mehr abgewinnen können, weil sie die liebenswürdigen Seiten desselben bereits im Übermaße kennengelernt und genossen haben.
    Sein Gesicht war glatt rasiert und stark gepudert, vielleicht um gewisse Spuren, welche eine ausverkaufte Jugend zurückzulassen pflegt, weniger bemerkbar zu machen. Seine Brauen und Wimpern waren schwarz gefärbt, um dem Blick des matten Auges mehr Intensivität zu erteilen. Die perlenweißen Zähne waren viel zu schön, als daß man sie für echt hätte halten können, und der Mund schien durch Anwendung einer Lippenpomade künstlich aufgefrischt worden zu sein. Dies alles gab dem Gesicht etwas Unechtes, Wachsfigurenähnliches und verdeckte trotzdem nicht den Ausdruck scheuer Unsicherheit, welcher über diesem Gesicht ausgebreitet lag und sich in dem ganzen Wesen und Gebaren des jungen Mannes aussprach. Wenn man überhaupt die Erlaubnis hat, einen Menschen mit irgendeinem Tier zu vergleichen, so glich der Baron einer schön gezeichneten und wohlgenährten Katze, welche jeden Augenblick bereit ist, irgendeinem ihr feindseligen Wesen zu entwischen.
    „Danke, Graf“, antwortete er. „Ich werde mir die Ehre geben, unseren Künstler zunächst in sein Heim zu geleiten, denn –“
    Ein bezeichnender Blick sagte das, was auszusprechen er unterlassen hatte. Der dritte der jungen Herren, von kräftiger Gestalt, dessen kühn geschnittenes Gesicht etwas verlebt aussah, hatte sich jedenfalls den

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