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71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

Titel: 71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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scheinbar lichtlosen Augen starr auf sie gerichtet.
    Warum hatte sie geschrien? Der Blinde konnte ihr doch nichts schaden, da er sie nicht zu sehen vermochte. Sie brauchte sich nur an ihm vorüber zu schleichen. Also gefährlich war er ihr gar nicht. Ganz einfach nur die Überraschung hatte ihr den Schrei entrissen.
    Was hatte ihr Mann hier zu suchen, während der Bewohner des Gemachs schlafend im Bett lag? Das konnte sie sich nicht erklären.
    Sie nahm an, daß ihr Mann sie nicht gesehen habe; aber gehört hatte er sie, denn er erhob sich langsam vom Stuhl, hielt den Blick noch starr auf sie gerichtet und fragte ernst:
    „Was willst dahier?“
    Sie fragte sich, ob es besser sei, sich von dem Schläfer auch noch sehen zu lassen oder lieber gleich flüchtig an ihrem Mann vorüber zu huschen. Sie wählte das letztere, denn es war besser, der Gefahr schnell zu entgehen, als dieselbe herauszufordern.
    Sie antwortete also gar nicht auf die an sie gerichtete Frage und ging leisen Schrittes nach der Tür, welche nach dem Vorzimmer führte. Dabei blickte sie nicht von ihrem Mann weg, und, eigentümlich, auch er drehte sich so, wie sie ging, und wendete den Blick nicht von ihr, grad, als ob er sie sehen könne.
    Jetzt hatte sie die Tür erreicht und wollte sie aufmachen.
    „Gib dir keine Mühe, Samiel!“ sagte der Bauer. „Die Tür ist von außen verschlossen. Du kannst nicht hinaus.“
    Sie erschrak. Was war zu tun? Sprechen durfte sie trotz der Maske nicht, denn ihre Stimme konnte erkannt werden. Der einzige Weg zur Rettung war jetzt der durch den Ofen zurück. Verraten war da noch nichts, denn der Blinde konnte ja nicht sehen. Sie eilte also nach der Schlafstubentür zurück und – erstarrte fast vor Schreck, denn da trat Fritz, der Knecht unter die Tür.
    „Wo willst hin, Samiel?“ fragte er. „Hier kannst auch nicht durch!“
    Das Entsetzen raubte ihr die Sprache. Also Fritz, welchen sie jetzt schon tot meinte, stand vor ihr! Grad derjenige, welcher alles wußte.
    Aber wenn alles fehlschlug, so war er der Sohn ihres Mannes. Selbst wenn ihr die Flucht nicht gelang, konnte er sie nicht dem Strafgericht übergeben. Und vorher hatte sie ja ihre Pistolen.
    Dieser letztere Gedanke gab ihr die Fassung zurück. Sie riß die eine Pistole aus der Tasche und rief mit dumpfer, verstellter Stimme:
    „Zurück, Unglücklicher!“
    Es war ihr Ernst, ihn niederzuschießen. Wenn er tot war, konnte er nichts verraten, und ihr Mann war ja blind. Aber Fritz war schneller als sie. Er entriß ihr die Waffe, warf sie fort und sagte:
    „Unsinn! Ein Weibsbild hat kein Geschick zum Schießen! Mach dich nicht lächerlich!“
    Da zog sie die zweite Pistole, aber dieser entging es nicht anders als der ersteren, auch sie wurde fortgeschleudert.
    Und da legte sich eine Hand auf ihre Achsel. Ihr Mann war hinter ihr herangekommen und erklärte drohend:
    „Samiel, du bist unser Gefangener!“
    Sie wendete sich um zu ihm. Seine Augen glühten ihr voller Haß entgegen. Waren das blinde Augen? Konnten diese Augen nichts mehr sehen?
    Da ging es wie ein Blitz durch ihr Hirn. Der Arzt hatte ihn operiert; die Operation war gelungen, er konnte sehen. Das überwältigte sie so, daß sie fast zusammensank. Aber sie raffte sich zusammen, zeigte nach der vorderen Tür und gebot, noch immer mit verstellter Stimme:
    „Macht auf! Ich will fort!“
    „Nachdem du mich bestohlen hast?“ lachte Fritz. „Du hälst mich für einen sehr dummen Kerl!“
    „Dich!“ rief sie.
    „Ja, ich war's, der im Bett lag. Der Herr Ludwig hat keine Lust habt, sich von dir besuchen zu lassen. Tu nur die Larve herab. Wir kennen dich längst!“
    Er faßte sie mit der linken Hand ohne alle Rücksicht kräftig bei der Gurgel, schlug ihr mit der Rechten den Hut herab und riß ihr dann die Maske vom Gesicht. Sie mußte erfahren, daß selbst das kräftigste Weib einem Mann nicht gewachsen ist.
    Als nun ihr Gesicht nicht mehr verhüllt war, hätte man denken sollen, daß eine große Scham sie überkommen müsse; aber dem war nicht so. Sie ballte vielmehr die Fäuste, drang auf Fritz ein, faßte ihn bei der Brust und schrie:
    „Hund! Verräter! Was hast hier zu tun. Fort mit dir ins Bett. Was ich in meinem Haus mach, das geht dich nix und gar nix an!“
    „In deinem Haus?“ fragte da der Bauer. „Welcher Stein dieses Hauses gehört dir? Du bist als Bettlerin zu mir gekommen und wirst noch viel ärmer von mir gehen. Die Liebe hat dich bei mir aufgenommen, aber die Rache wird dich

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