72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen
deutlicher:
„Sterben, sterben, nur nicht wahnsinnig sein, nur nicht für verrückt gelten. Tot, tot ist besser, ist viel besser!“
Und als er dies gesagt hatte, öffnete er plötzlich weit die Augen. Sein Blick fiel grad auf Anton, erst starr, dann immer mehr bewußter werdend.
„Anton, du hier?“ fragte er.
„Soeben bin ich gekommen“, antwortete der Sänger.
„Wegen meiner?“
„Ja, ich mußte dich doch sehen.“
„Ich dank dir auch! Es tut mir so wohl im Herzen, daßt auch gut auf mich gesinnt bist. Aber sag doch, wo ist der König?“
„In Schloß Berg.“
„Also schon hier?“
„Ja.“
„Seit wann?“
„Seit heut.“
„Ist er frei?“
„Scheinbar. Doktor von Gudden ist bei ihm.“
„Ein Irrenarzt?“
„Ja. Und heimlich wird er natürlich bewacht.“
„Was ist heut für ein Tag?“
„Der zwölfte Juni.“
„Ich weiß gar nicht, wie lang ich bereits hier bin. Mein Kopf ist ganz wüst, und das Denken fallt mir schwer. Ist denn Pfingsten schon vorüber?“
„Nein. Morgen ist der erste Feiertag. Heut haben wir also den Heiligen Abend.“
„Das ist traurig. Grad am Vorabend des heiligen Festes, an welchem der Geist herniederkommt, wird mein König als geisteskrank nach Berg geschafft. Wer soll das aushalten! Wer soll das überleben! Mir wird ganz schwach. Die Stub dreht sich mit mir herum. Ich will wieder schlafen.“
Er drehte das Gesicht zur Seite und phantasierte weiter.
„So geht es immerfort“, sagte Leni leise. „Immerfort Phantasie und nur selten einmal ein freier Augenblick.“
„Und du strengst dich hier an und opferst dich auf! Ich werde dich ablösen.“
„Das ist nicht nötig“, lächelte sie trübe. „Wir sind hier so viele Freundinnen beisammen, daß wir keiner männlichen Hilfe bedürfen. Am liebsten aber außer mir hat Sepp das Fräulein bei sich.“
„Welches Fräulein?“
„Die Sommerfrischlerin, welche bei deinen Eltern wohnt.“
„Ich weiß nichts von ihr. Woher ist sie?“
„Ich habe sie nicht gefragt.“
„Und wie heißt sie?“
„Auch das weiß ich nicht. Erst jetzt besinne ich mich darauf, daß wir uns noch nicht einmal einander vorgestellt haben. Wir haben uns nur immer mit dem allgemeinen ‚Sie‘ begnügt.“
„Ist sie eine gute Pflegerin?“
„Eine ausgezeichnete sogar. Sie braucht ihm selbst in der wildesten Phantasie nur die Hand auf die Stirn zu legen, so ist er ruhig. Sie hat überhaupt so etwas Besänftigendes an sich. Ich glaube, sie könnte den wildesten Charakter zügeln.“
„So bin ich neugierig, sie zu sehen.“
„Das ist ein gefährlicher Wunsch“, lächelte sie trotz ihrer Traurigkeit.
„Warum?“
„Sie ist sehr schön.“
„Das tut bei mir nichts.“
„Bist du jetzt so gefeit?“
„Ja.“
Da öffnete der Sepp die Augen und blickte abermals die beiden an.
„Leni“, sagte er, „ich hab eben jetzt meine Gedenktafel sehen, wann sie in der Kirchen hängt. Da hing auch meine alte Zithern dabei. Ich hab sie wollen lassen mit mir begraben, weil's mir eine gar so treue Freundinnen gewest ist. Aber es wär doch jammerschad um sie, wann sie mit mir verfaulen sollt. Wirst mir eine Gedenktafel machen lassen?“
„Ja, und ein Denkmal lasse ich dir setzen. Aber das hat noch eine gar lange Weile.“
„Nein, ein Denkmal mag ich nicht haben. Der Herrgott weiß schon, wo er mich bei der Auferstehung zu suchen hat. So ein Denkmal ist immer eine Großtuerei, die ich nicht dulden mag. Aber meine Zithern läßt mir hinhängen?“
„Ja.“
„Und einen Kranz von Veilchen um dieselbe? Es ist ja jetzt die Frühjahrszeit, wo dieselbigen wachsen.“
„Ich verspreche es dir.“
„Ich danke dir, Leni! Und weißt, ich möcht sie doch gar zu gern nochmal hören, meine Zithern. Aber ich kann sie nicht selbst spielen, denn meine Finger reichen heut nicht dazu aus. Gibt's nicht einen, der's hier kann?“
„Max Walther ist ja da; der ist Virtuos auf der Zithern!“
„Laß ihn holen! Und noch was möcht ich zum letzten Mal hören, bevor ich sterben tu, nämlich deine liebe Stimm, meine Leni. Willst mir zur Zithern noch mal das Lied singen ‚Schlaf in Ruh‘? Tu deinem alten Sepp noch den Gefallen!“
„O gern!“ sagte sie, laut schluchzend.
„Weine nicht! Bald werd ich im Himmel die Psalmen der lieben Engel hören. Und nachher tät ich mich freuen, wannst mit dem Anton hier ganz versöhnt wärst, so daß er das Lied mit dir singen tät, zweistimmig, von zwei solchen Leuten. Das soll mein Abschied von
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