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72 Tage in der Hoelle

72 Tage in der Hoelle

Titel: 72 Tage in der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nando Parrado , Vince Rause , Sebastian Vogel
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war sofort auf den Beinen. Wenige Sekunden später brach die Lawine durch die provisorische Mauer am hinteren Ende des Rumpfes und begrub ihn bis zu den Hüften. Entsetzt sah Roy, dass wir alle auf dem Boden geschlafen hatten und jetzt unter dem Schnee begraben waren. Mit dem schrecklichen Gedanken, wir seien alle tot und er sei allein auf dem Berg, begann Roy zu graben. Schnell befreite er Carlitos, Fito und Roberto, und jeder, der ausgegraben war, grub nun ebenfalls. Sie krochen auf dem Schnee hin und her, suchten unter dem Schnee hektisch nach unseren Freunden, aber trotz aller Bemühungen waren sie nicht schnell genug, um alle zu retten. Es waren schwereVerluste. Marcelo war tot, ebenso Enrique Platero, Coco Nicholich und Daniel Maspons. Der Flugingenieur Carlos Roque und Juan Carlos Menendez waren unter der einstürzenden Mauer ums Leben gekommen. Diego Storm, der mich am dritten Tag nach dem Absturz, als ich noch im Koma lag, in den warmen Rumpf gezogen und mir damit das Leben gerettet hatte, war unter dem Schnee erstickt. Und Liliana, die mir noch Augenblicke zuvor so tröstende Worte gesagt hatte, war ebenfalls nicht mehr da. Gustavo hatte Javier geholfen, nach ihr zu graben, aber es war schon zu viel Zeit vergangen: Als sie sie fanden, war sie tot.
    Welch tiefe Verzweiflung uns nach der Lawine überfiel, ist kaum zu beschreiben. Wir waren vom Tod unserer Freunde wie vor den Kopf gestoßen. Zuvor hatten wir uns in dem Glauben gewiegt, wir hätten die schlimmsten Gefahren hinter uns, aber jetzt war klar, dass wir an diesem Ort niemals sicher sein würden. Der Berg konnte uns auf vielerlei Weise umbringen. Am meisten quälte mich, dass der Tod so launisch war.Wie sollte ich darin einen Sinn finden? Daniel Maspons hatte nur wenige Zentimeter rechts von mir geschlafen, links war Liliana mir ebenso nahe gewesen. Jetzt waren beide tot. Warum sie und nicht ich? War ich stärker? Klüger? Besser vorbereitet? Die Antwort war eindeutig: Daniel und Liliana hatten den gleichen Lebenswillen gehabt wie ich, sie waren genauso stark gewesen und hatten genauso ums Überleben gekämpft. Nur ein einziges Mal hatten sie Pech gehabt: Sie hatten sich am Abend gerade diese Stellen zum Schlafen ausgesucht, und ihre Entscheidung war tödlich gewesen. Ich dachte daran, wie meine Mutter und Susy sich ihre Plätze im Flugzeug ausgesucht hatten und wie Panchito wenige Augenblicke vor dem Absturz mit mir den Sitz getauscht hatte. Über die Beliebigkeit dieser Todesfälle war ich empört, aber sie ängstigte mich auch: Wenn der Tod so sinnlos und zufällig zuschlug, konnte nichts mich vor ihm bewahren, weder Mut noch Planung oder Entschlossenheit.
    Als wollte der Berg sich über meine Ängste lustig machen, schickte er später in derselben Nacht noch eine zweite Lawine den Abhang hinunter.Wir hörten sie kommen und machten uns auf das Schlimmste gefasst, aber dieses Mal rollte sie einfach über uns hinweg. Die Fairchild war bereits unter Schnee begraben.
     
     
    Das Flugzeugwrack war schon vor der Lawine ein zugiger, enger Unterschlupf gewesen, aber danach wurde es wirklich zur Hölle. Der eingedrungene Schnee war so tief, dass wir nicht mehr stehen konnten. Wir hatten jetzt gerade noch so viel Platz, dass wir auf allen vieren herumkriechen konnten. Sobald wir es verkraften konnten, stapelten wir die Toten am hinteren Ende des Flugzeugs, wo der Schnee am tiefsten war. Für die Lebenden blieb zum Schlafen nur noch eine kleine Lücke in der Nähe des Cockpits. Dort drängten wir uns zusammen – wir waren jetzt noch neunzehn und quetschten uns auf einer Fläche zusammen, die vielleicht für vier Personen bequem gewesen wäre. Uns blieb keine andere Wahl, als uns dicht an dicht zu legen, wobei unsere verhakten Knie, Füße und Ellenbogen die albtraumhafte Form eines Rugbygedränges bildeten. Die Luft in der Maschine war feucht vom Schnee und verlieh der Kälte eine besonders durchdringende Schärfe. Wir waren alle unter dem Schnee begraben gewesen, der jetzt durch die Körperwärme schnell taute, und wenig später war unsere Kleidung völlig durchnässt. Noch schlimmer wurde die Sache dadurch, dass alle unsere Habseligkeiten jetzt unter mehr als einem Meter Schnee am Boden der Kabine lagen. Wir hatten keine provisorischen Decken mehr, um uns zu wärmen, keine Schuhe, die unsere Füße vor der Kälte geschützt hätten, und keine Kissen, die uns von der gefrorenen Oberfläche des Schnees trennten. Sie war jetzt unsere einzige Liegefläche.

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