73 - Der Dukatenhof
gewesen, so daß sich die Mehrzahl von ihnen schon in Gefangenschaft befand. Als sie den Kommenden erblickten, jubelten sie ihm freudig entgegen.
„Jetzt ist der Hauptmann da“, rief einer; „der bringt die große Flinte und wird uns freimachen! Schieß, Paul! Dann reißen wir aus!“
„Bleibt nur immer ruhig stehen, bis ich sie alle zu Tode getroffen habe“, antwortete er. „Ausgerissen aber wird nicht vor dem Soldatenvolk. Das wäre die größte Schande für uns. Wer ist der oberste Korporal?“
„Ich!“ antwortete der Betreffende mit wichtigem Gesicht.
„So kommst du grad zuerst daran. Paß auf, wenn ich losdrücke, so mußt du hinfallen und liegenbleiben, bis wir gewonnen haben!“
Hier gab es keine Widerrede. Das war schon hundert Mal so gewesen, und der Fährmanns Paul litt keinen Ungehorsam. Er schoß die Soldaten alle tot und ließ sie erst wieder lebendig werden, als ein neues Spiel begann.
„Ich tu auch mit!“ meinte ein neu Herbeigetretener.
Es war derjenige, welcher nach der Schule eine so schnelle Bestrafung gefunden hatte.
„Nein, du bleibst davon!“ wies ihn Paul zurück. „Mit dir ist's aus für immer. Wer schimpft, der taugt zu keinem Soldaten und zu einem Räuber vollends gar nicht. Ich mag dich auch gar nicht frei machen, wenn sie dich eingesteckt haben!“
„Du wärst auch der richtige“, klang die geringschätzige Antwort. „Du kannst ja nicht einmal deinen Vater freimachen! Er hat die Truhe ausgeleert und sitzt nun im Zuchthaus. Schieß ihn doch heraus, wenn du's vermagst, Fährmanns Paul!“
Er hatte kaum ausgesprochen, so fuhr ihm die Flinte des kleinen Anführers an den Kopf.
„Da hast du noch eins, du böser Bube, der du bist! Mein Vater ist der Beste im ganzen Dorf; er ist viel besser noch als deiner. Er hat das Geld nicht genommen; er ist unschuldig eingesteckt; die Großmutter sagt's und die Minna auch. Und wenn ich will, da bring ich ihn schon frei. Ich will dir's gleich einmal zeigen!“
Er rief die Knaben alle herbei.
„Hört, wir spielen jetzt das Zuchthaus! Das ist noch nicht dagewesen und wird euch sehr gefallen. Ich bin einmal mit der Großmutter dort gewesen und hab alles gesehen, wie es ist. Dort ist das Haus; hier kommt die Mauer, und da geht es hinein in den Graben, wo das Kraut und der Salat gewachsen ist. Da haben wir den Vater drin gesehen, als wir vorübergegangen sind. Sie schnitten Pflanzen heraus, und die Soldaten haben mit dem Gewehr dabeigestanden, damit keiner davonspringen konnte. Nun sollt ihr sehen, wie es geht! Macht euch auseinander! So! Ihr seid die Soldaten, und ihr müßt die Gefangenen machen; du bist der Vater, und nun kann die Sache beginnen. Ich werde gleich laden und alles niederschießen. Und wenn ich keine Kugel mehr habe, so schlage ich mit dem Kolben drein, wie's der Vater gemacht hat, als er im Krieg gewesen ist. Der wartet auch gar nicht, bis ich gesiegt hab; er ist stärker als alle Soldaten und macht sich los, sobald er mich nur sieht. So mußt du's auch tun! Nun geht; der Anfang kann beginnen!“
Mit offenem Mund hatten sie der Erklärung des schönen, neuen Spiels gelauscht, und jeder eilte jetzt auf seinen Posten. Die Flinte, welche der Paul von seinem Vater zum Geburtstag erhalten hatte, stand bei allen in großem Respekt. Man konnte wirklich mit ihr schießen, und so war ihr bei allen Unterhaltungen die erste Rolle zugeteilt. Die Befreiung des armen Gefangenen gefiel den Knaben so gut, daß sie immer von neuem wiederholt wurde, bis die Zeit der Heimkehr herangekommen war. Da stellten sie sich in Reih und Glied und marschierten nach dem Dorf zurück.
Vor einem Gut stand eine alte mächtige Linde. Unter ihr saßen zwei Frauen und schauten lächelnd auf den gravitätischen Zug.
„Ob der Paul nicht immer der Oberst ist“, meinte die jüngere, indem sie ihr gutes, blaues Auge auf die ältere richtete, die einen grünen Schirm über den oberen Teil des Gesichts trug und sich vorsichtig von den Strahlen der untergehenden Sonne gewendet hatte.
„Ich kann ihn auf so weit nicht genau erkennen. Ruf ihn doch herbei, Minna.“ sagte sie.
„Das ist gar nicht nötig; er kommt schon ganz von selbst.“
Wirklich verabschiedete der Knabe die Genossen und stolzierte dann mit wichtiger Miene herbei.
„Großmutter, da bin ich! Ich hab den Vater frei gemacht.“
„Wenn du das könntest“, seufzte die Angeredete, „so wärst du größer als der Advokat, der uns nicht genützt hat, und als die Männer, die ihn
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