73 - Der Dukatenhof
hier und da schimmerte ihm ein einsames Licht entgegen. Er kannte die Gegend, in der das Schloß lag, welches jetzt als Landesstrafanstalt eingerichtet war; die Großmutter hatte es ihm gezeigt und war mit ihm um den Graben herumgegangen, der einst zur Befestigung des Platzes angelegt, jetzt aber mit allerlei Küchenpflanzen bebaut worden war. Hier hatte er den Vater gesehen; hier mußte er ihn auch wieder finden, so glaubte er und bog, als er die dunkle Masse des Schlosses sich seitwärts erheben sah, von der Straße ab.
Als er den Graben erreicht hatte, blieb er horchend stehen. Das unheimliche Gebäude da drüben machte doch einen beengenden Eindruck auf ihn.
Langsame, abgemessene Schritte ließen sich hören; sie rührten von den Außenposten her, welche zur Nachtzeit rings um das Schloß gelegt waren, um alle Kommunikationen zwischen hüben und drüben zu verhüten und dem etwaigen Ausbruch eines der Gefangenen mit der scharfgeladenen Waffe zu begegnen.
Wer lief da unten? War es der Vater oder ein anderer? Er durfte nicht rufen, sondern mußte den Mann erst sehen. Leise schlich er sich an dem Rand des Grabens vorwärts, bis er an eine Stelle kam, wo die Mauer, welche senkrecht hinunter ging, sich zu einer Böschung verflachte, die den Graben für die zuweilen notwendigen Fuhrwerk zugänglich machte.
Hier schlich er sich hinab.
Das Gefühl, welches jetzt über ihn kam, machte seine Schritte jetzt vollständig unhörbar, und er kam eine ziemliche Strecke in dem Graben weiter, ehe er bemerkt wurde. Da stieß er an einen Stein.
„Wer da?“ rief eine laute, barsche Stimme.
Er fürchtete sich und suchte auszuweichen.
Jetzt sah der Posten trotz der Dunkelheit die Gestalt, welche sich in einiger Entfernung von ihm bewegte.
„Halt, steh!“ gebot er.
Der Angerufene begann nun gerade, vor Angst zu laufen.
„Halt, steh, oder ich schieße!“ ertönte es.
Das Gewehr klirrte. Der Knabe suchte, von Furcht getrieben, den Ort, an welchem er herabgekommen war; da krachte der Schuß.
„Vater!“ ertönte es laut durch die Nacht, dann brach das getroffene Kind zusammen. – – –
Es war am Sonnabend früh. Die Anstaltsglocke gab das Zeichen, daß die Gefangenen sich vom Lager zu erheben hatten. Die Aufseher waren aus ihren in der Stadt gelegenen Privatwohnungen eingetroffen und traten in ihre Visitationen, welche während der Nacht von den Posten bewacht worden waren.
„Ist etwas vorgefallen?“ fragte einer von ihnen den Soldaten, welcher ihn an der Tür zur Ablösung erwartete.
„Es war große Unruhe unter den Leuten, weil in der Nacht ein Schuß gefallen ist“, lautete die Antwort. „Nummer hundertneunzig steht im Meldebuch; er ist in seiner Zelle auf- und abgegangen, obgleich ihm wiederholt geboten worden ist, sich niederzulegen.“
„War er krank?“
„Nein, sonst hätte er sich auf die Krankenstation gemeldet. Wer macht die Anzeige? Sie, Herr Aufseher?“
„Nein, sie ist Sache Ihres diensthabenden Unteroffiziers, der sie weiter gibt, bis sie um acht Uhr an die Direktion kommt. Ich habe den Betreffenden nur zurückzuhalten, damit er zur Verfügung steht, wenn er zum Verhör verlangt wird. Er ist Außenarbeiter.“
Der Sprecher verabschiedete den Posten und ging dann die Zellenreihe hinab, bis er an eine Tür gelangte, über welcher ein Blechschild mit der Nummer hundertneunzig hing. Er zog den Schlüssel hervor und öffnete.
Als der Gefangene seinen Vorgesetzten erblickte, erhob er sich von dem Schemel, auf welchem er saß. Die häßliche Anstaltsmontur hatte nicht vermocht, seine vorteilhafte Gestalt zu verbergen; aber seine Wangen waren bleich und eingefallen, seine Schläfe eingesunken, und die Augen blickten trübe und verschleiert aus ihren Höhlen hervor.
„Hundertneunzig, du bist angezeigt!“ sagte der Aufseher.
„Ich? Warum, Herr Aufseher?“ fragte der Mann.
„Weil du während der Nacht nicht Ruhe gehalten hast! Was machst du denn für Dummheiten? Du hast dich doch bisher immer gut geführt!“
„Herr Aufseher, es wurde draußen im Graben geschossen, grad unter meinem Fenster, und –“
„Das geht doch dich nichts an! Du hast dich abends niederzulegen und ruhig bis früh liegenzubleiben, außer wenn du dich unwohl fühlst. Du darfst heute nicht mit zur Arbeit, denn Punkt neun mußt du zum Herrn Direktor, um deine Strafe zu bekommen!“
„Aber ich habe ja keinen Lärm verursacht! Es war mir unmöglich, zu schlafen, denn gleich nach dem Schuß hörte ich
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