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73 - Der Dukatenhof

73 - Der Dukatenhof

Titel: 73 - Der Dukatenhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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den Umstehenden fühlten die Rücksichtslosigkeit ihres bisherigen Verhaltens und waren jetzt zu der geforderten Hilfeleistung gern bereit.
    Als man im Begriff stand, den Verletzten davonzutragen, trat Kathrine herbei. Sie hatte das hochherzige Beginnen der beiden Tannenbauern mit angstvoller Spannung verfolgt und war seit dem Gelingen desselben mir ihrer nun wieder erwachten Mutter beschäftigt gewesen.
    „Was ist's mit ihm?“ fragte sie besorgt. „Ist er tot?“
    „Nein, meine Tochter“, antwortete der Pfarrer; „er ist nur von Hitze, Rauch und Schmerz ohnmächtig geworden.“
    „Darf ich ihn sehen, Herr Pastor? Komm her, Mutter; er hat dich aus dem Tod fortgerissen!“
    „Bleib nur zurück!“ gebot Heinemann. „Er ist ein Haubold, und ihr habt mit ihm nichts zu tun. Oder willst du etwa gar die Pflaster für ihn streichen?“
    „Ja, Vater, das werde ich auch, wenn's welche für ihn zu streichen gibt! Es hat's keiner gewagt, in das Feuer zu gehen, kein einziger, auch du nicht, aber er ist hineingestiegen, obgleich man ihn auf alle Weise verfolgt und böse Dinge von ihm ersinnt. Die Mutter wäre elendiglich verbrannt, wenn er nicht mutiger gewesen wäre als ihr, und nun muß er auch sehen, daß wir ihm den Dank nicht schuldig bleiben!“
    Sie hatte noch niemals in diesem Ton zu ihm gesprochen; sie wußte selbst nicht, woher ihr die Kühnheit dazu kam, zumal es nicht unter vier Augen, sondern vor so vielen Leuten geschah. Liebe, Dankbarkeit und Entrüstung hatten ihr die Worte diktiert, und sie war der Stimme ihres Herzens gehorsam gewesen, ohne nach den Folgen zu fragen.
    Heinemann fand im ersten Augenblick vor Erstaunen gar keine Worte; dann aber nahm er sie beim Arm, schleuderte sie weit von den Trägern weg und schrie sie an:
    „Was willst du? Mir die Moral lesen? Ich werde dir zeigen, wem du zu danken hast! Schafft mir den Kerl vom Hof, sonst werfe ich euch samt ihm hinaus! Und du, Haubold Frieder, troll' dich auch rasch von dannen; ihr habt mir jetzt die Frau erhalten, aber wir sind noch nimmer quitt; ein Mord wiegt schwerer als die paar Blasen, die der hier auf die Hand bekommen hat!“
    „Ich gehe schon, Wiesenbauer“, antwortete Haubold mit finsterer Ruhe; „aber denke an den Advokaten, den ich mir genommen habe; er hat dich schon gepackt und wird dich nicht so bald wieder losgeben. Und was den Mord betrifft, so merk's: Ich gehe gerade jetzt zur Felsenkanzel; du kannst mir auch nachschleichen, wie mir damals dein Bruder nachgeschlichen ist!“
    Er wendete sich ab und schritt durch das zertrümmerte Tor davon.
    Heinemann blickte ihm mit funkelnden Augen nach. Seit dem Begebnis im Felsenbruch hatte er das Verlangen gehegt, mit dem vermeintlichen Mörder Abrechnung halten zu können, und es war ihm selbstverständlich gewesen, daß dies auf der Kanzel geschehen müsse. Er war mit diesem Gedanken schlafen gegangen und mit ihm erwacht und hatte denselben in sich eingesogen, daß er ein Teil seines Selbst geworden war. Er hatte sich Mühe gegeben, ihn zu verwirklichen, hatte an jedem arbeitsfreien Tag draußen über dem Kessel auf der Lauer gelegen, aber niemals war es ihm gelungen, dem Todfeind einmal an dieser Stelle zu begegnen. Der Haß ließ ihn niemals bemerken, wie gottlos und verbrecherisch sein Besinnen sei, und daß ein Fluch von demselben ausgehe, der seine Wirkung auch auf die äußeren Verhältnisse des Verblendeten erstreckte. Jetzt war der Wiesenhof zu einem rauchenden Schutt- und Trümmerhaufen geworden; Heinemann sah die Zerstörung vor sich liegen; die hin und her eilenden Gestalten bewegten sich wie in einem Nebel vor seinem Auge; das Stimmengewirr drang wie aus weiter Ferne an sein Ohr; er sah nur wie im Traum; er hörte nichts, als nur das eine Wort: „Ich gehe gerade jetzt zur Felsenkanzel; kannst mir nachschleichen!“ Er wischte sich den perlenden Angstschweiß von der Stirn, schritt um die Brandstätte herum nach dem Garten und starrte hinaus in das nächtliche Dunkel, nach der Richtung, in welcher die Schlucht sich öffnete. Sollte er gehen, sollte er bleiben? Der Hof war nicht mehr zu retten; ein einzelner Mensch vermochte auch keine Wunder zu verrichten, und der Teufelsbauer war sicherlich niemals wieder auf der Kanzel zu treffen. Das Gute kämpfte in ihm mit Mächten, welche so dunkel waren, wie die vor ihm liegende Finsternis, welche unter den um die Brandstätte zuckenden Lichtern sich nur zu verdichten schien. –
    Der Pastor begleitete seinen Patienten nach dem

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