73 - Der Dukatenhof
nicht sagen; erlaube mir's heute!“
Sie nickte weinend.
„Dann mache dir keine Sorge; du wirst noch weiter von mir hören! Jetzt aber muß ich fort. Lebe wohl, Kathrine, und grüß' mir auch die Mutter!“
„Leb' wohl!“ Trotz dieses Wortes hielt sie seine Hand fest und sah schluchzend zu ihm empor. „Gustav, tue mir heut' was zulieb'!“
„Sag's; ich will's gern tun!“
„Bitte deinen Oheim, daß er dem Vater Verzeihung gibt! Der liebe Gott wird uns sonst noch mehr heimsuchen, als bisher.“
„Ich werd's ihm sagen, und er wird dir deine Bitte erfüllen, Kathrine. Darauf darfst du dich verlassen!“
Als er den Tannenhof erreichte, waren die Bewohner desselben ebenso erfreut über sein unerwartetes Erscheinen wie besorgt über das unerklärliche Wegbleiben Haubolds. Er hatte sich seit gestern abend nicht wieder sehen lassen, und niemand konnte sagen, wo er zu suchen sei. Marie befand sich in einem hohen Grade von Aufregung, die sie vergeblich zu verbergen suchte. Gustav kannte ihre außerordentliche Anhänglichkeit für den Oheim und verschwieg ihr darum schonend seine Vermutung. Unter dem Vorwand einer Feldarbeit nahm er die beiden Knechte zu sich und begab sich mit ihnen nach dem Felsenbruch.
Dort angekommen, erblickte er einen mächtigen Trümmerhaufen, welcher die Stelle bedeckte, an der das Kreuz gestanden hatte; die Kanzel war herabgestürzt und hatte ein breites Stück des Kesselrands mit sich herniedergerissen. Sprachlos vor Entsetzen blieb er an der Mündung der Schlucht stehen, dann ermannte er sich und trieb vorwärts, indem er rief:
„Der Oheim ist zerschmettert und verschüttet. Vorwärts, wir müssen ihn finden, ihn oder seine Leiche!“
Im Nu stand er bei den Trümmern; mit einem raschen, angstvollen Blick hatte er die zerborstene Masse überflogen und dabei gefunden, daß die Oberfläche derselben keine Spur von dem Gesuchten sehen lasse; er mußte unter ihr vergraben sein.
„Helft mir wegräumen! Ich muß ihn sehen; ich muß ihn haben, und wenn ich den ganzen Bruch umstürzen soll!“
Mit fast übermenschlicher Anstrengung wühlte er sich in das Gestein; die schweren Stücke flogen wie leichte Nußschalen zur Seite; der Schweiß rann ihm aus allen Poren, und von Schritt zu Schritt vorwärts rief er mit lauter Stimme den Namen des Vermißten.
„Horch, Gustav!“ rief einer der Knechte. „Ich habe was sprechen hören!“
Die drei Männer lauschten gespannt auf jedes, auch das geringste Geräusch. Endlich, nach längerem Horchen vernahmen sie eine schwache, menschliche Stimme; aber sie kam nicht aus der Tiefe, sondern von der Höhe herab.
„Da oben ist jemand an der Felsenwand. Es muß in der Höhle sein, dem Schall nach. Aber dort kann doch kein Mensch hineinkommen!“
Wieder ließ sich der gedämpfte Ruf vernehmen. Es klang, als befände sich jemand in der dringendsten Gefahr und habe doch nicht die Kraft, laut nach Hilfe zu schreien.
„Kommt an der Seite hinauf! Dort können wir von oben hinabblicken und am Ende sehen, wer es ist!“
Sie eilten durch die Schlucht zurück und stiegen mit möglichster Geschwindigkeit an dem Rand des Bruchs empor. Oben, an der Stelle angekommen, welche der Höhlung gegenüberlag, sahen sie zwei menschliche Gestalten in derselben liegen, deren eine den Oberkörper so weit wie möglich hervorgeschoben hatte, um eine Gelegenheit zur Rettung zu erforschen.
„Wer ist da drüben?“ fragte Gustav mit lauter Stimme.
„Ich bin's!“ antwortete es matt und kaum vernehmlich.
„Wer denn?“
„Der Heinemann!“
„Und wer ist der andere?“
„Der Teuf- der Tannenbauer!“
„Der Oheim ist mit dabei!“ jubelte Gustav; schnell aber dämpfte er seine Freude und fragte hinüber: „Warum spricht der Tannenbauer nicht?“
„Er ist tot!“
„Tot?“ zitterte es von den Lippen des Jünglings. Dann aber ballte er die Faust und warf sie drohend hinüber. „Oh, jetzt weiß ich alles! Der Oheim ist nach der Kanzel gegangen, um das Kraut zu suchen, und der Wiesenbauer hat ihn verfolgt, und sich über ihn hergemacht. Da oben haben sie miteinander gekämpft, und von der Last und dem Gestampf ist die Kanzel vollends losgebrochen. Dabei hatten sie sich fest gepackt und sind nicht hinabgestürzt, sondern seitwärts hinüber nach der Höhle geschleudert worden. Das ist das größte Wunder, was es geben kann! Aber was soll es helfen? Den Oheim hat's zerdrückt, und der Mordtäter ist dafür noch am Leben. Aber heraus müssen sie beide. Lauft nach dem
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