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73 - Der Dukatenhof

73 - Der Dukatenhof

Titel: 73 - Der Dukatenhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Morgen wie ein Lauffeuer durch die ganze Gegend, und wer es nur möglich machen konnte, der eilte zur Stelle, um Zeuge von dem Aufheben der Leiche zu sein.
    Der Staatsanwalt war schon vor Tagesgrauen unter Gendarmeriebegleitung angekommen, trotzdem er sich die Zeit genommen hatte, den Gefangenen erst aufzusuchen. Dieser hatte ihm den Vorgang wahrheitsgetreu berichtet und nur verschwiegen, was in Beziehung auf den Dukatenprinzen zu sagen gewesen wäre. Der gewissenhafte Beamte richtete seine Rekognition nach diesem Bericht ein und mußte allerdings bemerken, daß unter dem tief herabhängenden Tann zur Zeit der Tat jemand gelegen haben müsse, wie das Geknicktsein mehrerer Zweige und deren noch frische Bruchstellen bewiesen. Auch der Ort, an welchem der Schütze gestanden hatte, wurde gefunden, doch waren die in dem verdorrten Heidelbeergesträuch befindlichen Spuren nicht von der Art, daß ein weiterer Anhalt genommen werden konnte, ebenso wie der auf dem Moos entdeckte Pfropfen, da er aus Werg bestand, nur dazu diente, die Aussage über die Richtung des Schusses zu bestätigen.
    Trotz dieser Umstände und des für ihn sprechenden Eindrucks, welchen Franz während der Verhöre auf den Untersuchungsrichter machte, mußte die Anklage aufrecht erhalten werden, da die Verdachtsmomente zu dringend erschienen und er ganz besonders über den Zweck seines nächtlichen Waldbesuchs sich nicht aussprechen wollte. Eine lange Reihe von Monaten umschlossen ihn die Mauern des Gefängnisses, ehe es zur richterlichen Entscheidung kam. Der gewandte Verteidiger stützte sich zumeist auf einen Umstand, welchem bisher nicht die gehörige Beachtung geschenkt worden war: Man hatte die Kleider des Angeklagten mit Blut bespritzt gefunden; dies konnte nur dadurch möglich sein, daß er im Augenblick des Schusses sich wirklich in der nächsten Nähe des Ermordeten befunden habe, und da erwiesen war, daß der Schuß aus ziemlicher Entfernung abgefeuert war, so konnte er unmöglich der Mörder sein. Er wurde wegen mangelnder Beweisgründe freigesprochen und durfte seine Haft verlassen.
    Es war an einem dunklen Abend, als er das heimatliche Dorf wieder betrat und seine Schritte nach dem Häuschen richtete, in welchen, wie er wußte, man seiner Rückkehr harrte. Wenn alle ihn verurteilten, zwei taten es nicht: Die Mutter, weil sie an ihr Kind glaubte, und der Heinrich, welcher seine Unschuld kannte. Wem der Schuß eigentlich gegolten hatte, das wußte Franz, aber er brachte den jähzornigen Charakter Heinrichs und die an jenem Abend stattgefundene Überraschung in Rechnung, und da er trotz seiner persönlichen Überzeugung den Mörder mit juristischer Sicherheit nicht bezeichnen konnte, so hatte er über Heinrichs Anwesenheit im Wald geschwiegen und gab sich noch jetzt der Hoffnung hin, daß trotz des Vorgefallenen, ja gerade wegen desselben, sobald der Dukatenprinz sich dankbar erweisen wollte, die alte Freundschaft sich von neuem befestigen werde.
    Er fand die Tür verschlossen. Sie war für den, welcher mit der Vorrichtung vertraut war, auch von außen zu öffnen. Er entfernte mit der untergeschobenen Hand den Riegel und trat ein.
    „Mutter?“ rief er, in der Stube angekommen, wo es vollständig finster war.
    Er erhielt keine Antwort und griff daher zur Lampe und Feuerzeug. Als der Schein der ersteren den Raum erhellte, gewahrte er eine lang ausgestreckte Gestalt, welche, von einem weißen Tuch überdeckt, auf dem Lager ruhte. Die Leuchte entfiel seiner Hand, und mit einem lauten Aufschrei warf er sich über die Tote hin.
    Da trat jemand vorsichtig tappend durch den Eingang.
    „Die Tür steht offen! Ist jemand hier?“ fragte eine männliche Stimme.
    „Ja!“ antwortete Franz mit unterdrücktem Schluchzen.
    „So bist du's selber?“ Es war der Ortsvorsteher. „Ich hab' heute vom Amt die Nachricht erhalten, daß du kommst, und wollt' nur sehen, ob du auch schon da bist. Wirst wohl gefunden haben, wie's zu Hause steht. Und wenn du etwa nicht weißt, wer schuld dran ist, so will ich dir's sagen. Du hast sie auf deinem Gewissen!“
    Franz war nicht schwach. Er hatte die lange Kerkerhaft mutig ertragen; jetzt aber war es nicht nur finster in der Stube, jetzt war es auch finster in ihm. Es war kein stechender, kein brennender, es war ein tauber, dumpfer Schmerz, welcher sich seiner bemächtigt hatte. Ohne zu wissen, wozu und wohin, wankte er aus dem Haus und das Dorf hinab. Bei den Bäumen angekommen, in deren Schatten das Verhängnis ihn

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