Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
73 - Der Dukatenhof

73 - Der Dukatenhof

Titel: 73 - Der Dukatenhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
ihren Lippen, aber es wurde ihr dunkel vor den Augen; die Gestalten der Umstehenden verschwanden in wirbelnden Nebeln; sie wankte und glitt langsam an dem Haus nieder.
    Heinrich sah sie liegen. Er faßte sie, zog sie empor und hastete ihr zu:
    „Was ist denn das mit dir? Hat dich wieder mal der Herzwurm angebissen? Dem Franz ist nichts als sein Recht geschehen. Sie haben ihn losgelassen, weil er sich aufs Leugnen gelegt hat, aber wer Menschenblut vergießt, des Blut wird auch vergossen; so steht es in der Bibel, und was die sagt, das ist wahr. Geh' du hinein, du bist uns hier nichts nütze!“
    Er führte sie in die Stube, wo sie kraftlos in den Sessel sank. Das Gesicht in die Hände vergrabend, legte sie den Kopf auf den Tisch und ließ den Tränen freien Lauf, die sich zwischen den Fingern Bahn brachen und schwer und langsam auf die Diele niedertropften. Ihr blühendes Leben war seit Monaten schon welk geworden, und heute, heute hatte es den schwersten Schlag erhalten. –

Ein Gottesgericht
    Ganz am oberen Ende des Dorfes lag ein kleines Häuschen, einstöckig wie das des Köpfle-Franz, und nur mit Stroh gedeckt; aber es war sauber gehalten, und die Fenster, durch welche das Licht hinaus auf die Straße blitzte, weil die Läden noch nicht geschlossen waren, zeigten kein einziges Fleckchen, welches die Glasscheiben getrübt und verunziert hätte. So blank und reinlich wie diese waren, sah es im ganzen Stübchen aus. Die heute erst frischgescheuerte Diele war mit grünen Tannenzweigen belegt, Tisch, Bänke und Stühle bis aufs Weiß gerieben; die Kacheln des altertümlichen Ofens, in welchem ein lustiges Feuer knisterte, glänzten wie Email, und das blecherne Kochgeschirr flimmerte wie feines Silber aus der Ecke hervor.
    Dieser Nettigkeit entsprach auch das Äußere der Frau, welche am Klöppelkissen saß und mit emsigen, geschickten Fingern die zierlichen Hülsen erklingen ließ. Sie war nicht mehr jung; zahlreiche graue Fäden durchzogen das früher dunkle Haar, aber es lag doch noch wie Jugend auf ihren weichen, regelmäßigen Zügen, und die Wangen zeigten noch immer eine leichte Röte als den Widerschein der Jahre, die nichts von Falten und Furchen wissen. An der Wand über dem Tisch hing das Bild des Heilands in einfach vergoldetem Rahmen, und auf der anderen Seite zwei Köpfe, welche mit Bleistift auf gewöhnliches weißes Schreibpapier gezeichnet waren. Sie stammten von dem Köpfle-Franz und trugen in gotischen Buchstaben die Unterschrift ‚Karl‘ und ‚Marie‘. Die Frau war die einstige Magd auf dem Dukatenhof und hatte zu ihrer Hochzeit ihr Bild und dasjenige ihres Bräutigams vom Köpfle-Franz als Angebinde erhalten.
    Sie ließ plötzlich die Arbeit ruhen und horchte nach der Türe. Ein Mann trat ein, der, das Alter abgerechnet, dem Bild an der Wand aufs Haar ähnlich sah. Er grüßte freundlich:
    „Guten Abend, Mutterle! Da bin ich schon! Heute ist Sonnabend, und da ist die Arbeit früher alle.“
    „Guten Abend, Vater!“ dankte sie. „Ich habe nicht gedacht, daß du schon jetzt zu Hause sein wirst. Die Erdäpfeln sind noch nicht ganz fertig, aber sie werden gleich kochen.“
    „Schadet nichts! Ich schmauche derweil ein wenig meine Pfeife. Schon gut; ich bring' die Stiefel schon ganz selber herunter!“
    Sie leistete ihm beim Ausziehen Hilfe, legte einiges Holz im Ofen nach und kehrte dann zu ihrer Klöppelei zurück. Er hatte auf der Bank Platz genommen, stopfte sich mit behaglicher Bedächtigkeit die Pfeife und blies dann den Rauch des anspruchslosen Krauts mit einer Miene von sich, welche auf einen ganz außerordentlichen Genuß schließen ließ.
    „Hast's schon gehört, Marie?“ fragte er.
    „Was denn?“
    „Hm! Ich sehe es schon, du weißt noch nichts, sonst hättest du's in den fünf Minuten, die ich hier bin, schon längst vom Herzen runter.“
    „Ich bin heute gar nicht ins Dorf gekommen, sondern bloß bis hin zum Wassertrog. Was gibt es denn so grausam Neues?“
    „Es ist nicht bloß eine, es sind zwei Posten, die ich bringe, die eine vom Dukatengraf und die andere vom Pascherkönig. Denke dir nur, Mutter, der Dukatenbauer hat gestern abend die Emma verspielt.“
    „Verspielt? Wie denn? So was ist doch gar nicht möglich!“
    „Freilich ist's möglich! Er hat wieder mal mit dem Baron und dem Zettelkramer droben bei dem Bergwirt gesessen, und als das Geld alle gewesen ist, da haben sie zuerst um die neue Kutsche und nachher um die letzte Ernte und endlich um die Emma

Weitere Kostenlose Bücher