73 - Der Dukatenhof
Gegenstand in der Hand. Sie wußte, daß es zum nächsten Mittag Wildbret geben würde.
Franz hatte die Straße nicht weit verfolgt; es trieb ihn unwiderstehlich, das, was er gehört hatte, mit eigenen Augen zu schauen. Er bog um das Gut herum und schlich sich durch den Garten nach dem Hofraum, in welchen die hinteren Fenster der Wohnstube führten. Nur mit seinen trüben Gedanken beschäftigt, gewahrte er nicht, daß eine Gestalt ihm folgte, die ihn bei dem Übersteigen des Zauns bemerkt hatte. Die Stube war erleuchtet, und am Tisch saßen zwei mit Näharbeit beschäftigte Frauen. Er trat näher, er mußte sie deutlich sehen, sie, an die er gedacht hatte zu jeder Stunde seines einsamen Gefängnislebens. Man rückte drinnen die Lampe, und ein heller Lichtstrahl glitt über ihn dahin. Jetzt erst erkannte sein Verfolger, wen er vor sich habe.
„Der Franz!“ murmelte er. „Er ist wieder da – sie haben ihn freigegeben! Er will die Anna sehen. Nun weiß er, daß sie meine Frau geworden ist und wird mich verraten! Soll ich ihn jetzt wegputzen?“
Er nahm das Tuch vom Gewehr und legte an; aber nach einigen Augenblicken ließ er die Waffe wieder sinken.
„Nein, der Dukaten-Heinrich ist nicht so dumm, daß er sich einstecken läßt und nachher seinen Kopf hergibt! Ich weiß was Besseres, wie man den Franz zum Schweigen bringt.“
Es war ein teuflischer Gedanke, der ihn erfaßt hatte. Das Terrain war ein von dem Hof nach dem Garten zu ansteigendes, und in der Nähe des Fensters lagen die abgesägten Stämme zweier starker Nußbäume, die man ihres Alters wegen vor kurzer Zeit gefällt hatte. Jetzt hatte die eigene Schwere sie noch nicht zu tief in den Boden gedrückt, und es bedurfte also nicht mehr als Manneskraft, einen von ihnen ins Rollen zu bringen. Einmal in Bewegung gesetzt, mußte er bis an die Mauer rollen und den dort stehenden Beobachter treffen.
Ahnungslos, welch eine furchtbare Gefahr ihm drohe, hing dieser mit dem Auge an dem lieblichen, jetzt aber tiefblassen Gesicht der so heiß Geliebten. Was hatte sie bewogen, dem Mörder ihres Vaters ihre Hand zu geben? War es vielleicht die Liebe gewesen? Er konnte keinen anderen Grund finden, er konnte überhaupt gar nicht sinnen und denken, er fühlte nur, daß es finster in ihm werde, finsterer noch, als es vorhin gewesen war. Da vernahm er ein lautes Getöse, unter welchem der Boden erzitterte, hinter sich – rasch drehte er sich um – ein schmetternder Schlag gegen die Mauer ließ das Haus erbeben – ein furchtbarer, markerschütternder Schrei erschallte durch die Nacht – die Tat war geschehen.
Der alte Dukatenbauer drin in der Stube fuhr, von dem Lärmen aus dem Schlummer geweckt, von seinem Großvaterstuhl empor; auch die beiden Frauen waren, auf das heftigste erschrocken, in die Höhe gesprungen; das Gesinde, welches sich vor kurzem erst zur Ruhe begeben hatte, eilte herbei, und auch Heinrich erschien unter der Türe.
„Was ist denn hier unten los bei euch?“ fragte er. „Das war doch grad, als ob's ein Erdbeben gegeben hätte!“
„Es war nicht bei uns; es war draußen im Hof“, lautete die Antwort.
„So müssen wir nachsehen. Brennt rasch die Laterne an!“
Man folgte dem Gebot und eilte dann hinaus, wo sich den Leuten ein entsetzlicher Anblick bot. Zwischen dem zurückgeprallten Klotz und der Wand lag in einer tiefen, rauchenden Blutlache ein menschlicher Körper, dem die Beine bis herauf an den Leib vollständig zermalmt worden waren.
„Was ist hier geschehen? Wer ist der Mann?“ fragte der Bauer.
Heinrich nahm dem Knechte die Laterne aus der Hand und leuchtete dem Verunglückten in das Gesicht.
„Der Franz ist's, der Grunert-Franz!“ rief er verwundert. „Was hat der hier gewollt? Ist er denn wieder los vom Amt?“
„Den hat das Holz erschlagen. Er ist ihm zu nahe gewesen, und da hat es ihn mit fortgerissen“, sagte der alte Bauer. „Spannt rasch ein Pferd vor den Wagen, und fahrt nach dem Doktor. Vielleicht ist er noch nicht tot.“
„Der Franz? Mein Herrgott, ist das wahr?“ rief Marie, indem sie die anderen zurückdrängte. „Ja, er ist's! Franz, Franz, was ist mit dir geschehen? Oh, wärst du doch nach Haus gegangen!“
Sie warf sich trotz des fließenden Blutes über ihn hin und wehrte die Arme zurück, welche sie von ihm wegziehen wollten.
Auch Anna war mit nach dem Hof geeilt. Als sie den Namen des Zerschmetterten nennen hörte, riß es ihr die Hände nach dem Herzen. Nur ein leiser Wehlaut entrang sich
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