73 - Der Dukatenhof
Minuten in die Küche gegangen und trat ihm draußen im Flur entgegen.
„Franz!“ sagte sie.
„Ach so! Dich hab' ich ganz vergessen. Gute Nacht!“ antwortete er.
„Franz!“ wiederholte sie.
„Was noch?“
„Darf ich dir was sagen?“
„Warum denn nicht? Ich werde wohl hören, was.“
„Du bist jetzt ganz anders geworden, als sonst.“
„Anders? Das denkst du bloß! Ich wüßte doch nicht, inwiefern ich anders sein sollte! Wie war ich denn früher, und wie bin ich jetzt?“
„Geh', Franz! Du weißt, daß ich das nicht sagen kann. Aber ich wollte, wir wären wieder allein auf dem Dukatenhof.“
„Ist dir vielleicht der alte Kommandant nicht recht?“
„Der schon! Aber –“
„Aber –?“
„Ich darf's nicht sagen, Franz!“
„So sag' es mir ein andermal, wenn du darfst. Gute Nacht, Marie!“
„Gute Nacht!“
Die Worte des jungen Mädchens hatten ihren Eindruck auf den jungen Mann doch nicht verfehlt. Langsam und gesenkten Hauptes schritt er über den Hof und blieb, am Tor angelangt, stehen, um noch einen Blick über das Gelände zu werfen. Da oben hinter dem kleinen Dachfenster flammte ein matter Lichtschein auf. Er wußte, von wem er herrührte. Sie wollte allein sein, weil ihr das Herz weh tat. Sie litt nicht allein. Auch er fühlte seit einiger Zeit eine Bitterkeit in seinem Innern, die ihm allen Frohsinn, alle seine sonstige Heiterkeit raubte. Hatte ihn doch die Mutter schon öfters gefragt, was ihm fehle, und er hatte zu dieser Frage geschwiegen, denn die einzige Antwort hätte doch nur die sein dürfen, welche ihm vorhin auch von Marien geworden war: „Das kann ich dir nicht sagen!“
Er ging weiter und war dabei so in Gedanken versunken, daß er die leisen Schritte nicht vernahm, welche ihn zu erreichen strebten. Erst als eine leichte Hand sich auf seine Schulter legte, bemerkte er, daß er nicht allein sei.
„Herr Grunert –!“
Er wandte sich um und trat überrascht einen Schritt zurück, als er bei dem Sternenschimmer des unbewölkten Firmaments Anna, die Tochter des Leutnants, erkannte.
„Sie sind es?“ fragte er verwundert.
„Ja!“ klang es mit ungewisser Stimme. „Ich muß Ihnen etwas sagen; aber kommen Sie von der Straße weg dorthin in den Schatten. Es darf mich niemand bei Ihnen sehen, und ich glaube, Sie werden beobachtet.“
Sie schlüpfte über den Weg hinüber unter einige Bäume, welche an der anderen Seite der Straße standen. Er folgte ihr erwartungsvoll; es war ihm so eigentümlich wie noch nie, so beklommen, und doch hätte er vor Freude laut jauchzen mögen.
„Ich werde beobachtet?“ fragte er. „Wer soll mich denn beobachten, und weshalb?“
„Das darf ich Ihnen nicht sagen –“
Es war sonderbar, auch aus ihrem Mund klang diese Antwort.
„Sie dürfen nicht? Aber vorhin wollten Sie mir doch was sagen.“
„Eine Bitte ist es, die ich aussprechen möchte. Wollen Sie mir dieselbe erfüllen?“
„Gern, o wie gern! Ihnen könnt' ich nichts abschlagen!“
„So gehen Sie jetzt schlafen, wenn Sie nach Hause kommen. Gehen Sie nicht weiter!“
Er stutzte.
„Warum?“ fragte er dann.
„Weil Sie sich sonst in eine große Gefahr begeben.“
Das helle Dachfenster war ihm auch hier sichtbar; aber seine Gedanken waren jetzt ganz andere, als vorhin. Er hätte die gegenwärtige Minute um keinen Preis der Welt verkauft. Die Tochter des Offiziers war ihm heimlich nachgekommen, um ihn zu warnen. Er war ein einfaches, ungebildetes Dorfkind, aber er sagte sich, daß sie sich zu dieser Warnung nur nach einem Kampf mit ihrem Gewissen habe entschließen können, und dieser Kampf, er hatte wegen seiner stattgefunden, wegen seiner, der es niemals gewagt hätte, aus freien Stücken mit dem Mädchen zu sprechen.
„Und ich soll wohl nicht in Gefahr sein?“ fragte er leise und mit stockendem Atem.
„Nein“, klang es zögernd und ebenso leise.
„Warum nicht?“
Sie schwieg; dann bot sie ihm die Hand. „Gute Nacht!“
Er ergriff das kleine Händchen und hielt es fest. Er wußte nicht, woher ihm so plötzlich der Mut kam, aber er fragte dringender: „Warum nicht, Anna?“
„Weil ich es nicht will. Also Sie bleiben zu Hause?“
„Soll ich nur die Wahrheit sagen?“
„Ja!“
„Ich darf nicht zu Hause bleiben, nun erst recht nicht; das bin ich den anderen schuldig. Aber Gefahr gibt's jetzt keine mehr für mich, Anna.“
„Ist das auch wahr?“
„Ja!“ versicherte er einfach, aber sie hörte es dem Klang dieser kleinen Silbe an,
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