74 - Mein Leben und Streben
ist ein Genuß. Essen und Trinken ist unerläßlich. Aber jederzeit zu rauchen, zu essen, zu trinken, und alles, was einem geboten wird, zu rauchen und zu verzehren, würde nicht nur töricht, sondern sogar schädlich sein. Eine gute, interessante Lektüre soll man genießen, aber nicht wie ein Haifisch verschlingen! Da meine Bücher nur Gleichnisse und Märchen enthalten, versteht es sich ganz von selbst, daß man reiflich über sie nachdenken soll und daß sie nur in die Hände von Leuten gehören, die nicht nur nachdenken können, sondern auch nachdenken wollen.
Als ich damals diese Gedanken erwog und meine Pläne faßte, hatte ich zwar schon Verschiedenes geschrieben und an die Öffentlichkeit gegeben, aber es war mir noch nicht eingefallen, mich als Schriftsteller oder gar als Künstler zu bezeichnen. Und jeder wirkliche Schriftsteller muß doch zugleich auch Künstler sein. Ich hielt mich noch nicht einmal für einen zünftigen Lehrling, sondern nur erst für einen außerhalb der Zunft herumtastenden Anfänger, der seine ersten, kindlichen Gehversuche macht. Und doch schon so weit umfassende, weit hinausreichende Pläne! Wenn ich diese Pläne überschaute, so hätte mir eigentlich himmelangst werden sollen, denn es gehörten jedenfalls mehrere arbeitsreiche, ungestörte, glückliche Menschenleben dazu, den vor mir liegenden Stoff echt literarisch, also künstlerisch zu bewältigen. Aber es wurde mir doch nicht angst, sondern ich blieb sehr ruhig dabei. Ich fragte mich: Muß man denn Schriftsteller sein, und muß man denn Künstler sein, um solche Sachen schreiben zu dürfen? Wer will und kann es einem verbieten? Machen wir es ohne Zunft, wenn es nur richtig wird! Und machen wir es ohne Kunst, wenn es nur Wirkung hat und das erreicht, was es erreichen soll! Ob Schriftsteller und Künstler mich als ‚Kollegen‘ gelten lassen würden, das mußte mir damals gleichgültig sein. Zwar, meinen individuellen Stolz besaß ich ebenso wie jeder andere Mensch, und von Kunst dachte ich so hoch, wie man nur denken kann. Aber diese meine Gedanken waren anders als diejenigen anderer Leute, besonders der Fachgenossen. Künstler zu sein, dünkte mich das Allerhöchste auf Erden, und es lebte tief in meinem Herzen der heiße Wunsch, diese Höhe zu erreichen, und sollte es erst noch in der letzten Stunde vor meinem Tod sein. Jener Kindheitsabend, an dem ich den ‚Faust‘ zu sehen bekam, stand noch unvergessen in meiner Seele, und die Vorsätze, die ich an ihn geschlossen hatte, besaßen noch ganz denselben Willen und dieselbe Macht über mich wie vorher. Für das Theater schreiben! Dramen schreiben! Dramen, in denen gezeigt wird, wie der Mensch aufsteigen soll und aufsteigen kann aus dem Erdenleid zur Daseinsfreude, aus der Sklaverei des niedern Triebes zur Seelenreinheit und zur Seelengröße. Um so etwas schreiben zu können, muß man Künstler sein, und zwar echter, wahrer Künstler. Aber was ich mir da als Kunst dachte, das war etwas ganz anderes als das, was die heutige Kritik als Kunst bezeichnet, und so blieb mir weiter nichts übrig, als alle meine Wünsche, die sich darauf bezogen, als Literat ein Künstler, und zwar ein wahrer, wertvoller Künstler sein zu dürfen, für lange, lange Jahre zurückzustellen und bis dahin zu bleiben, was ich eben war, nämlich ein unzünftiger Anfänger, der nicht die geringste Prätention besaß, ein Zunftgenosse zu werden. Wie ich stets, seitdem ich lebte, abgesondert und einsam gestanden hatte, so war ich schon damals überzeugt, daß auch mein Weg als Literat ein einsamer sein und bleiben werde, so weit mein Leben reiche. Was ich suchte, fand sich nicht im alltäglichen Leben. Was ich wollte, war etwas dem gewöhnlichen Menschen vollständig Fernliegendes. Und was ich für richtig hielt, das war höchstwahrscheinlich für andere Leute das Falsche. Zudem war ich ja ein bestrafter Mensch. Da lag es mir nahe, ganz für mich zu bleiben und keinen wertvolleren Menschen mit mir zu belästigen. In Beziehung auf Kunst war ich nicht sachverständig. Vielleicht hatten die andern recht; ich konnte irren. Für alle Fälle aber hielt mich mein Ideal fest, am Abend meines Lebens, nach vollendeter Reife, ein großes, schönes Dichterwerk zu schaffen, eine Symphonie erlösender Gedanken, in der ich mich erkühne, Licht aus meiner Finsternis zu schöpfen, Glück aus meinem Unglück, Freude aus meiner Qual. Dies für später, wenn mir der Tod einst seinen ersten Wink erteilt. Für jetzt aber galt es,
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