74 - Mein Leben und Streben
zu lernen, viel zu lernen und sich auf dieses Werk vorzubereiten, damit es nicht mißlinge. Jetzt Märchen und Gleichnisse geben, um dann am Schluß des Lebens aus ihnen die Wahrheit und Wirklichkeit zu ziehen und auf die Bühne zu bringen!
Aber diese Gleichnisse sind nicht kurze Schriftstücke wie z.B. die herrlichen Gleichnisse Christi, sondern lange Erzählungen, in denen viele Personen handelnd auftreten. Und ihre Zahl ist groß; sie sollen eine ganze Reihe von Bänden füllen und das Material für jene spätere große Aufgabe bilden, mit der ich meine Tätigkeit beschließen will. Sie können also keine sorgfältig ausgeführten Gemälde sein, sondern nur Federzeichnungen, nur Skizzen, Vorübungen, Etüden, an welche nicht der Maßstab gelegt werden darf, der nur für ausgesprochene Kunstwerke gilt. Ich kann und will und darf kein kunstvollendeter Paul Heyse sein, sondern meine Aufgabe ist, aus hochgelegenen Marmor- und Alabasterbrüchen die Blöcke für spätere Kunstwerke zu brechen, deren Form ich höchstens andeuten kann, weil mir die Zeit zur Ausführung nicht zur Verfügung steht. Diese Andeutung gebe ich eben in Märchen, die meinen erzählenden Gleichnissen eingeschoben sind und die Punkte bilden, um welche sich das Interesse des Lesers konzentriert. Die künstlerische Kritik braucht sich also mit meinen Reiseerzählungen nicht zu befassen, weil es gar nicht meine Absicht ist, ihnen eine künstlerische Form oder gar Vollendung zu geben. Sie haben den einfachen, schlichten Arm- oder Fußringen der Araberinnen zu gleichen, die weiter nichts sein sollen, als eben nur silberne Ringe. Der Wert liegt im Metall, nicht in der Arbeit. Der Maler, welcher flüchtige Skizzen zeichnet, um ein großes Gemälde vorzubereiten, würde sich gewiß über den Kritiker verwundern, der an diese Skizzen denselben Maßstab legen wollte, den er dann später an das Gemälde zu legen hat.
Soviel über die Pläne, welche damals in mir entstanden und die ich festgehalten und befolgt habe bis auf den heutigen Tag. Sie kamen nicht plötzlich, und sie kamen nicht in gesellschaftlicher Fülle, sondern langsam, einer nach dem andern. Und sie reiften nicht eilig aus, sonder es dauerte monate- und jahrelang, ehe ich mir von dem einen Punkt bis zum nächsten klargeworden war. Ich hatte aber auch genügsam Zeit dazu. Ich legte mir eine Art von Buchhaltung über diese Pläne und ihre Ausführung an; ich habe sie mir heilig aufgehoben und besitze sie noch heut. Jeder Gedanke wurde in seine Teile zerlegt, und jeder dieser Teile wurde notiert. Ich stellte sogar ein Verzeichnis über die Titel und den Inhalt aller Reiseerzählungen auf, die ich bringen wollte. Ich bin zwar dann nicht genau nach diesen Verzeichnissen gegangen, aber es hat mir doch viel genützt, und ich zehre noch heut von Sujets, die schon damals in mir entstanden. Auch schriftstellerte ich fleißig; ich schrieb Manuskripte, um gleich nach meiner Entlassung möglichst viel Stoff zur Veröffentlichung zu haben. Kurz, ich war begeistert für mein Vorhaben und fühlte mich, obgleich ich Gefangener war, unendlich glücklich in der Aussicht auf eine Zukunft, die, wie ich wohl hoffen durfte, keine ganz gewöhnliche zu werden versprach.
Das Schicksal schien mit meinen Vorsätzen einverstanden zu sein. Es spendete mir, als ob es mich für alles Leid entschädigen wolle, eine reiche, hochwillkommene Gabe: Ich wurde begnadigt. Die Direktion hatte für mich ein Gnadengesuch eingereicht, auf welches ich ein volles Jahr meiner Strafzeit erlassen bekam. Ich stand in der ersten Disziplinarklasse und erhielt ein Vertrauenszeugnis ausgestellt, welches mir den Rückweg in das Leben glättete und mich aller polizeilichen Scherereien überhob. Der Kenner weiß, was das bedeutet!
Es war ein schöner, warmer Sonnentag, als ich die Anstalt verließ, zum Kampf gegen des Lebens Widerstand mit meinen Manuskripten bewaffnet. Ich hatte nach Hause geschrieben, um die Meinigen von meiner Heimkehr zu benachrichtigen. Wie freute ich mich auf das Wiedersehen. Angst vor Vorwürfen brauchte ich nicht zu haben; dies war ja schon längst durch Briefe geordnet. Ich wußte, daß ich willkommen sei und daß man mir mit keinem Wort wehtun werde. Am meisten freute ich mich auf Großmutter. Wie mußte sie sich gegrämt und gehärmt haben! Und wie gern würde sie mir ihre alte, liebe, treue Hand entgegenstrecken. Wie entzückt würde sie über meine Pläne sein! Wie sehr würde sie mir helfen, sie auszudenken und so
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