74 - Mein Leben und Streben
Und dieses letztere tat ich mit einem Eifer, der mich weder rechts noch links schauen ließ, und grad das, das war es, was ich wollte. Ich hatte einsehen müssen, daß es für mich kein anderes Glück im Leben gab, als nur das, welches aus der Arbeit fließt. Darum arbeitete ich, so viel und so gern, so gern! Dieser ruhelose Fleiß ermöglichte es mir, zu vergessen, daß ich mich in meinem Lebensglück geirrt hatte und noch viel, viel einsamer lebte, als es vorher jemals der Fall gewesen war. Dieses tiefe, innere Verlassensein drängte mich, um die trostlose Öde auszufüllen, zu rastlosem Fleiß und machte mich leider gleichgültig gegen die Notwendigkeit, geschäftlich vorsichtig zu sein. Es kam bei Münchmeyer so viel vor, was mich veranlassen konnte, auf der Hut zu sein, daß mehr als genügsam Grund vorlag, die Zukunft und Integrität alles dessen, was ich für ihn schrieb, so sicher wie möglich zu stellen. Daß ich hieran nicht dachte, war ein Fehler, den ich zwar entschuldigen, mir aber selbst heut noch nicht verzeihen kann.
Münchmeyer war Hausfreund bei uns geworden. Er hatte sich in Blasewitz eine Art Garçonlogis gemietet, um seine Sonnabende und Sonntage bequemer bei uns verbringen zu können. Er kam auch an Abenden der anderen Tage und brachte fast immer seinen Bruder, sehr oft auch andere Personen mit. Er wünschte zwar, daß ich mich dadurch ja nicht in meiner Arbeit stören lassen möge, doch konnte mich das nicht hindern, Herr meiner Wohnung zu bleiben und dann, als mir dies nicht mehr möglich erschien, diese Wohnung aufzugeben und aus Blasewitz fort, nach der Stadt zu ziehen. Meine neue Wohnung lag in einer der stillsten, abgelegensten Straßen, und mein neuer Wirt, ein sehr energischer Schloß- und Rittergutsbesitzer, duldete keinen ruhestörenden Lärm und überhaupt keine Überflüssigkeiten in seinem Haus. Grad das war es, was ich suchte. Ich fand da die innere und äußere Stille und die Sammlung, die ich brauchte. Münchmeyer kam noch einige Male, dann nicht mehr. Dafür aber stellten, ich wußte nicht, warum, sich Einladungen von Frau Münchmeyer ein, sie auf ihren Sonntagswanderungen durch Wald und Heide zu begleiten. Diese Wanderungen waren ihr vom Arzt geraten, der ihr tiefe Lufteinatmung verordnet hatte. Ich mußte mich wohl oder übel an ihnen beteiligen, weil dies der Wunsch meiner Frau war, deren Gründe ich leider nicht zu würdigen verstand. Sie fand sich nicht in die Abgeschiedenheit unserer jetzigen Wohnung; sie entzweite sich mit dem Wirt. Ich mußte kündigen. Wir zogen aus, nach einer Radauwohnung des amerikanischen Viertels, die über einer Kneipe lag, so daß ich nicht arbeiten konnte. Da wurde sie krank. Der Arzt riet ihr sehr frühe Spaziergänge nach dem Großen Garten, dem weltbekannten Dresdener Park. Solchen ärztlichen Verordnungen hat man zu gehorchen. Es gab für mich keinen Grund, diese Spaziergänge zu verhindern, die morgens vier bis fünf Uhr begannen und ungefähr drei Stunden währten. Ich wußte nicht, daß Frau Münchmeyer auch nicht gesund war und daß auch sie von ihrem Arzt die Weisung erhalten hatte, ‚frühe Morgenspaziergänge‘ nach dem Großen Garten zu machen. Erst nach langer, sehr langer Zeit erfuhr ich, was während dieser Spaziergänge geschehen war. Meine Frau war mir nicht nur seelisch, sondern auch geschäftlich verlorengegangen. Die beiden Damen saßen tagtäglich frühmorgens in einer Konditorei des Großen Gartens und trieben eine Hausfrauen- und Geschäftspolitik, deren Wirkungen ich erst später verspürte. Ich machte Schluß und zog von Dresden fort, nach Kötzschenbroda, dem äußersten Punkt seiner Vorortsperipherie.
Schon vorher war ich mit meinem letzten Roman für Münchmeyer fertiggeworden. Ich hatte ihm fünf geschrieben, in der Zeit von nur vier Jahren. Wenn man später vor Gericht behauptet hat, daß ich für Münchmeyer nicht fleißig, sondern faul gewesen sei, so bitte ich, mir einen Verfasser zu nennen, der mehr geleistet hat. Hiermit sei für heut mit meiner ‚Kolportagezeit‘ abgeschlossen.
SIEBENTES KAPITEL
Meine Werke
Wenn ich hier von meinen Werken spreche, so meine ich diejenigen meiner Bücher, mit denen sich die Kritik beschäftigt hat oder noch beschäftigt. Diejenigen, über welche die Kritik, ob mit oder ohne Absicht, geschwiegen hat, können auch hier übergangen werden. Zu diesen gehören meine Humoresken, meine erzgebirgischen Dorfgeschichten und einige andere Sachen, die noch in den Zeitungen
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