74 - Mein Leben und Streben
verborgen liegen, ohne gesammelt worden zu sein. Ich könnte hierzu auch noch meine ‚Himmelsgedanken‘ rechnen, die man nicht erwähnen zu wollen scheint, seit es Herrn Hermann Cardauns passierte, daß er sich mit ihnen so wundersam blamierte. Er schrieb bekanntlich: „Als lyrischen Dichter aber müssen wir uns ihn verbitten“, obgleich sich in dieser ganzen Sammlung nicht ein einziges lyrisches Gedicht befindet! Auch meine sogenannten ‚Union- oder Spemannbände‘ brauche ich hier nicht zu besprechen, weil man sie nirgends angegriffen hat, obgleich ich nur als Jugendschriftsteller angegriffen werde und sie die einzigen Sachen sind, die ich für die Jugend geschrieben habe. Es handelt sich also nur um die Fehsenfeldschen ‚Reiseerzählungen‘ und um die bei Münchmeyer erschienenen ‚Schundromane‘, welch letztere im nächsten Kapitel behandelt werden.
Meine ‚Reiseerzählungen‘ haben, wie bereits erwähnt, bei den Arabern von der Wüste bis zum Dschebel Marah Durimeh und bei den Indianern von dem Urwald und der Prärie bis zum Mount Winnetou aufzusteigen. Auf diesem Weg soll der Leser vom niedrigen Anima-Menschen bis zur Erkenntnis des Edelmenschentums gelangen. Zugleich soll er erfahren, wie die Anima sich auf diesem Weg in Seele und Geist verwandelt. Darum beginnen diese Erzählungen mit dem ersten Band in der ‚Wüste‘. In der Wüste, d.i. in dem Nichts, in der völligen Ungewißheit über alles, was die Anima, die Seele und den Geist betrifft. Indem mein Kara Ben Nemsi, das ‚Ich‘, die Menschheitsfrage, in diese Wüste tritt und die Augen öffnet, ist das erste, was sich sehen läßt, ein sonderbarer, kleiner Kerl, der ihm auf einem großen Pferd entgegengeritten kommt, sich einen langen berühmten Namen beilegt und gar noch behauptet, daß er Hadschi sei, obgleich er schließlich zugeben muß, daß er noch niemals in einer der heiligen Städte des Islams war, wo man sich den Ehrentitel eines Hadschi erwirbt. Man sieht, daß ich ein echt deutsches, also einheimisches, psychologisches Rätsel in ein fremdes orientalisches Gewand kleide, um es interessanter machen und anschaulicher lösen zu können. Das ist es, was ich meine, wenn ich behaupte, daß alle diese Reiseerzählungen als Gleichnisse, also bildlich resp. symbolisch zu nehmen sind. Von einem Mystizismus oder dergleichen kann dabei gar keine Rede sein. Meine Bilder sind so klar, so durchsichtig, daß sich hinter ihnen gar nichts Mystisches zu verstecken vermag.
Dieser Hadschi, der sich Hadschi Halef Omar nennt und auch seinen Vater und Großvater noch als Hadschis hinten anfügt, bedeutet die menschliche Anima, die sich für die Seele oder gar für den Geist ausgibt, ohne selbst zu wissen, was man unter Seele oder Geist zu verstehen hat. Dies geschieht bei uns nicht nur im gewöhnlichen, sondern auch im gelehrten Leben alltäglich, aber man ist derart blind für diesen Fehler, daß ich eben arabische Personen und arabische Zustände herbeiziehen muß, um diese blinden Augen sehend zu machen. Ich schicke darum diesen Halef gleich in den ersten Kapiteln nach Mekka, wodurch seine Lüge zur Wahrheit wird, weil er nun wirklich Hadschi ist, und lasse ihn dann sofort seine ‚Seele‘ kennenlernen – Hannah, sein Weib.
Ich hoffe, dieses Beispiel, welches ich gleich meinem ersten Band entnehme, sagt deutlich, was ich will und wie man meine Bücher lesen muß, um ihren wirklichen Inhalt kennenzulernen. Ein zweites Beispiel mag folgen: Kara Ben Nemsi befindet sich bei dem persischen Stamm der Dschamikun. Dieser Stamm soll von dem Volk der Sillan vernichtet werden. Da schickt der Ustad, der Oberste der Dschamikun, einen Boten zum Schah, um ihn um Hilfe zu bitten. Dieser Bote hat aber den Schah noch nicht erreicht, so kommen ihm schon die Heerscharen desselben entgegen, die ihm sagen, daß sie vom Schah gesandt worden seien, den Dschamikun Hilfe zu bringen. Der Schah hat also die Bitte des Ustad erhört, noch ehe sie zu ihm gelangte. Der Schah ist aber Gott, und so interpretiere ich durch diese Erzählung die christliche Liebe vom Gebet in Math. 6,8: „Euer Vater weiß, was Ihr bedürfet, ehe Ihr ihn bittet!“ Übrigens ist der Ustad kein anderer als Karl May, und die Dschamikun sind das Volk seiner Leser, welches von den Sillan vernichtet werden soll. Ich erzähle also rein deutsche Begebenheiten im persischen Gewand und mache sie dadurch für Freund und Feind verständlich. Ist das nicht Gleichnis? Nicht bildlich? Gewiß! Und ist es etwa
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