74 - Mein Leben und Streben
zu machen, als Plagiator und Dieb bezeichnet zu werden. Shakespeare war bekanntlich der größte literarische Entwender, den wir kennen. Wenn es nach Pater Pöllmannschen Grundsätzen ginge, würden sogar verschiedene Verfasser biblischer Bücher als literarische Diebe bezeichnet werden müssen. So könnte ich noch eine ganze, lange Reihe von Beispielen weiterführen, will mich aber damit begnügen, nur noch unseren Allergrößten, den Altmeister Goethe und den erfolgreichsten Romancier der Neuzeit, Alexander Dumas anzuführen. Dumas entlehnte außerordentlich viel. Er konnte ohne fremde Hilfe nicht bestehen und ging damit sehr weit über das Maß des literarisch Erlaubten hinaus. So ist es bekannt, daß er die Erzählung von Edgar Poe ‚Der Goldkäfer‘ zu den spannendsten Stellen in seinem ‚Grafen Monte Christo‘ ausgebeutet hat. Und was Goethe betrifft, so zitiere ich einen kurzen Artikel, der kürzlich unter der Überschrift ‚Goethe über das Plagiat‘ durch die Zeitungen ging:
„Für einen Plagiator gehalten zu werden, ist heutzutage sehr leicht. Es darf ein Autor bloß versäumen, absichtlich oder unabsichtlich, die Quelle zu zitieren, der er diese oder jene Stelle entnommen hat. Einen lieben Freund hat jedermann, der den glücklich entdeckten Plagiator an den vermeintlichen Pranger stellt. Richard von Kralik ist unlängst des Plagiates beschuldigt worden, weil er – ohne seine Schuld – mangelhaft zitiert worden ist. Solchen Plagiatschnüfflern möchten wir die Ansicht Goethes über das Plagiat in das Gedächtnis rufen. Der Gegenstand des Gesprächs zwischen ihm und Eckermann am 18. Januar 1825 waren Lord Byrons angebliche Plagiate. Siehe ‚Eckermanns Gespräche mit Goethe‘, 3. Auflage Band I S. 133. Da sagte Goethe: Byron weiß sich auch gegen dergleichen, ihn selbst betreffende unverständige Angriffe seiner eigenen Nation nicht zu helfen; er hätte sich stärker dagegen ausdrücken sollen. Was da ist, das ist mein, hätte er sagen sollen. Ob ich es aus dem Leben oder aus dem Buch genommen habe, das ist gleichviel; es kam bloß darauf an, daß ich es richtig gebrauchte! Walter Scott brauchte eine Szene aus meinem ‚Egmont‘, und er hatte ein Recht dazu, und weil es mit Verstand geschah, so ist er zu loben. So hat er auch den Charakter meiner ‚Mignon‘ in einem seiner Romane nachgebildet, ob aber mit ebenso viel Weisheit, ist eine andere Frage. Lord Byrons verwandelter ‚Teufel‘ ist ein fortgesetzter Mephistopheles, und das ist recht. Hätte er aus origineller Grille ausweichen wollen, so hätte er es schlechter machen müssen. So singt mein Mephistopheles ein Lied von Shakespeare, und warum sollte er das nicht? Warum sollte ich mir die Mühe geben, ein eigenes zu erfinden, wenn das von Shakespeare eben recht war und eben das sagte, was es sollte? Hat daher auch die Exposition meines ‚Faust‘ mit der des ‚Hiob‘ einige Ähnlichkeit, so ist das wiederum ganz recht, und ich bin deswegen eher zu loben als zu tadeln.“
Soweit diese kurze Auswahl von Gewährsnamen. Was haben unsere Berühmtesten getan, ohne daß man sie beschimpfte? Und was habe ich getan, daß man mich als den niedrigsten aller Betrüger und Diebe behandelt? Ich habe, ohne mir etwas dabei zu denken, einige meiner kleinen, asiatischen Erzählungen mit ganz nebensächlichen geographischen und ethnographischen Arabesken verziert, welche ich in Büchern fand, die längst der Allgemeinheit angehören. Das ist erlaubt. Das ist sogar mein gutes Recht. Was aber sagt Pater Pöllmann dazu? Er beschimpft mich öffentlich als einen Freibeuter auf schriftstellerischem Gebiet, für ewige Zeiten das Musterbeispiel eines literarischen Diebes! Emerson, der Berühmtesten und Edelsten einer in Amerika, sagt:
„Der größte Genius ist zugleich auch der größte Entlehner.“
Und Goethe sagt:
„Was da ist, das ist mein. Ob ich es aus dem Leben oder aus dem Buch nehme, das ist gleich!“
Wie hätte da wohl das entsprechende Urteil Pater Pöllmanns über diese beiden Heroen zu lauten? Sie hätten für ihn ‚für ewige Zeiten die schlimmsten aller literarischen Bestien‘ zu sein, stinkend vor Raubgier und Verworfenheit! Eine Kritik, die so unwissend, so unerfahren, so selbstüberhebend und so wenig maßhaltend ist wie diese hier, die bildet eine Gefahr nicht nur für die Literatur, sondern für das ganze Volk.
Ich habe in diesen meinen ‚Reiseerzählungen‘ genauso geschrieben, wie ich es mir einst vorgenommen hatte, für die
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