74 - Mein Leben und Streben
selbst Winnetou und Hadschi Halef Omar nicht, über die ich doch am meisten geschrieben habe. Ich bin ja mit mir selbst noch nicht fertig, bin ein Werdender. Es ist in mir noch alles in Vorwärtsbewegung, und alle meine inneren Gestalten, alle meine Sujets bewegen sich mit mir. Ich kenne mein Ziel; aber bis ich es erreicht habe, bin ich noch unterwegs, und alle meine Gedanken sind noch unterwegs. Freilich hat keiner unserer Dichter und Künstler, vor allen Dingen keiner unserer großen Klassiker, mit seinen Arbeiten gewartet, bis er innerlich reif geworden ist, aber ich bin auch in dieser Beziehung als Outsider zu betrachten, werde von vielen sogar als Outlaw oder Outcast bezeichnet und darf mir darum noch lange nicht erlauben, was andere sich gestatten. Was bei andern selbstverständlich ist, das ist bei mir entweder schlecht oder lächerlich, und was bei andern als Grund der Entschuldigung, der Verzeihung gilt, das wird bei mir verschwiegen. Ich habe ein einziges Mal etwas künstlerisches schreiben wollen, mein ‚Babel und Bibel‘. Was war die Folge? Es ist als ‚elendes Machwerk‘ bezeichnet und derart mit Spott und Hohn überschüttet worden, als ob es von einem Harlekin oder Affen verfaßt worden sei. Da weicht man zurück und wartet auf seine Zeit. Und diese kommt gewiß. Man kann wohl literarische Hanswürste beseitigen, nicht aber Geistesbewegungen unterdrücken, die unbesiegbar sind. Es fällt mir nicht ein, hier Anklagen aufzustellen, denen doch keine Folge gegeben würde. Unterlassen aber darf ich es trotzdem nicht, zur Beleuchtung des hier berührten Punktes ein Beispiel anzuführen, ein einziges, welches so deutlich spricht, daß ich ohne weiteres auf alle andern Belege verzichten kann. Nämlich ein Verein, dessen Zweck in der Anlegung von Volksbibliotheken und Verbreitung von Büchern besteht, hat bisher jährlich mehrere tausend Bände von mir vertrieben. Plötzlich stellte er das ein, und um Auskunft gebeten, gab die Zentralstelle dieses Vereines folgende, in den Zeitungen kursierende Auskunft:
„Hierseits wird zwar von dem weitern Vertrieb der Mayschen Schriften Abstand genommen, und werden die Bücher nicht mehr durch unsere Verzeichnisse angeboten, damit wollen wir aber nicht sagen, daß der Inhalt der Mayschen Reiseerzählungen zu verwerfen ist, und wir muten auch den Vorständen unserer Vereine nicht zu, nunmehr diese Bücher aus den Bibliotheken zu entfernen. Unsere jetzige ablehnende Stellungnahme gilt nicht den Schriften, sondern der Persönlichkeit des Verfassers. Sie können also ohne Bedenken die Bände weiter ausleihen.“
Das genügt gewiß! Meinen Büchern ist nichts anzuhaben; meine Person aber wird an den Pranger gestellt! Warum? Infolge jener ‚Mache‘, von der ich schon weiter oben sprach. Denn man glaube ja nicht, daß die ‚Karl-May-Hetze‘ oder, ein wenig anständiger ausgedrückt, das ‚Karl-May-Problem‘ eine literarische Angelegenheit sei. Es handelt sich hier keineswegs um schriftstellerische oder gar um ethische Gründe, sondern, die Sache beim richtigen Namen genannt, um eine rein persönliche Abschlachtung aus moralisch ganz niedrigen, prozessualen Gründen. Was man da von sittlichen und journalistischen Notwendigkeiten sagt, ist nichts als Spiegelfechterei, um die Wahrheit zu verstecken. Wollte man hierüber einen Roman schreiben, so könnte dieser der sensationellste aller Kolportageromane werden, und die Hauptpersonen würden folgende sein:
Der Hauptredakteur a.D. Dr. Hermann Cardauns in Bonn, die Kolporteuse a.D. Pauline Münchmeyer in Dresden, der Franziskanermönch Dr. Expeditus Schmidt in München, der aus der christlichen Kirche ausgetretene Sozialdemokrat a.D. Rudolf Lebius in Charlottenburg, der Benediktinerpater Ansgar Pöllmann in Beuron und der Rechtsanwalt der Kolporteuse Münchmeyer, Dr. Gerlach in Niederlößnitz bei Dresden. Dieser Roman würde für die Beleuchtung der gegenwärtigen Gesetzgebung ein höchst wichtiger sein und auch über andere Verhältnisse, gesellschaftliche, geschäftliche, psychologische, überraschende Streiflichter werfen. Es würde da viel Schmutz, sehr viel Schmutz zu sehen sein, der nichts weniger als appetitlich ist, und so will ich, da ich ihn auch hier zu erwähnen und zu zeigen habe, mich bemühen, so schnell wie möglich über ihn hinwegzukommen.
ACHTES KAPITEL
Meine Prozesse
Jörgensen, den meine Leser wahrscheinlich kennen, sagt in seiner Parabel ‚Der Schatten‘ zum Dichter: „Sie wissen nicht, was Sie
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