Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
77 Tage

77 Tage

Titel: 77 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
Vom Netzwerk:
freiwillig machen?«, erkundigte ich mich direkt.
    Ein verschmitztes Lächeln wischte die müde Miene von Hedis Gesicht. Sie hatte gemerkt, dass ich sie durchschaut hatte.
    »Die Arbeit macht Spaß«, grinste sie. »Aber viele – äh, junge Leute haben’s ja nicht so mit der Arbeit …«
    Vor allem nicht die, die in knielangen Wollpullis dahergelatscht kamen und aussahen, als verdienten sie sich mit Hanfanbau was dazu.
    »Unser letzter Zivi hat sein Handy am Zigarettenanzünder des Dienstwagens angeschlossen und World of Warcraft gespielt, statt seine Patienten zu betreuen. Und dann hatten wir ein Mädel im freiwilligen sozialen Jahr – die hat den alten Leuten nebenbei Versicherungen angedreht.«
    »Ist nicht dein Ernst!?« Ich lachte auf und Hedi stimmte ein.
    »Also feste Schuhe sind wichtig, deine Turnschuhe sind perfekt«, setzte die Große ihre Einweisung fort, doch nun lächelte sie dabei.
    »Und hier im Büro …«, sie führte mich durch den engen Flur zurück in das kleine Besprechungsbüro, in dem die blasse Anna Willms noch am Schreibtisch saß, »… hier findest du alles, was du für deine Tour brauchst.«
    An einem Brett voller Schlüssel war ganz oben eine Reihe Pappschildchen festgesteckt, auf die mit Edding säuberlich die Namen der Mitarbeiter geschrieben waren.
    »Unter deinem Namen hängt der Autoschlüssel …«, Hedi löste den dicken, schwarzen Schlüssel von einem Nagel, »… und die Schlüssel zu den Wohnungen der Klienten.«
    Sie nahm einen Schlüssel nach dem anderen vom Brett und hakte sie an einem Karabiner ein.
    Unterdessen wurde die Tür ein zweites Mal geöffnet und Danner und Kuchenbecker betraten den Raum.
    Ich blinzelte irritiert und es dauerte einen Augenblick, bevor ich wusste, was mich verwirrte: Ich hatte Danner noch nie in Weiß gesehen! Er besaß nur deprimierend dunkle Kleidung, seine Lieblingsfarben waren Schwarz und Anthrazit. Ein blaues T-Shirt war für ihn schon gewagt.
    Rasiert und im weißen Hemd sah er so ungewöhnlich sauber aus, dass ich ihn mir kaum noch beim Biertrinken in Molles schmuddeliger Kneipe vorstellen konnte.
    »Und das Wichtigste: dein Diensthandy.«
    Das Gerät steckte in einer Halterung, die gleichzeitig Ladestation war, neben dem Haken für den Autoschlüssel.
    »Ohne das Ding läuft gar nichts. Eigentlich ist es eine Kombination aus Telefon, GPS-Navigationsgerät, Abrechnungs-PC und Stempeluhr. Jeder hat ein eigenes. Es navigiert uns durch die Stadt, wir geben ein, wann wir bei einem Klienten abfahren und beim nächsten ankommen und welche Pflegeleistungen wir erbracht haben. Unsere Arbeit ist dadurch nachvollziehbar. Hat allerdings was von Big Brother, wenn man ständig über GPS geortet werden kann. Anna …«
    Anna Willms winkte uns grinsend vom PC aus zu.
    »… Anna ist sozusagen unser ›Großer Bruder‹«, erklärte Hedi augenzwinkernd. Ihrem gut gelaunten Tonfall nach gab es Schlimmeres, als von Anna Willms überwacht zu werden.
    »Anna weiß, wer welche Tour fährt und wo er gerade ist. Und wenn ein Klient absagt oder man noch einen Besuch von der Tour eines anderen übernehmen muss, schickt sie eine SMS.«
    Die Wunder der Technik.
    Hedi steckte Diensthandy und Schlüssel in die Taschen ihrer mausgrauen Regenjacke. »Wir haben alles. Macht es gut, Jungens.«
    Ingo Kuchenbecker winkte mit der Eleganz einer britischen Prinzessin. Danner ahmte die Bewegung grinsend nach.
    Tag 5
    BELLAS BLOG:
    DIENSTAG, 16.03 UHR
    Dass Bauarbeiter in der Frühstückspause das erste Bier aufreißen, halten viele Menschen für ein Klischee. Genau wie Poster nackiger Frauen im Bauwagen. Oder Wettbewerbe im Lautrülpsen.
    Ich weiß es besser. Mario ist Klempner. Damit habe ich genau so einen Bauarbeiter geheiratet.
    Ich kann nicht behaupten, ich hätte es nicht gewusst. Denn als ich Mario kennenlernte, hatte er seine Lehre bereits beendet. Erst danach absolvierte er seinen Zivildienst im Krankenhaus. Im gleichen Krankenhaus, in dem ich meine Schwesternausbildung machte.
    Ich kann auch nicht behaupten, dass es mich nicht gestört hätte. Es hat mich gestört. Ich traute meinen Ohren nicht, als ich ihn das erste Mal auf einer Baustelle erlebte. In Ballerinas stand ich im Rohbau. Neben einem dröhnenden Betonmischer. Der nach nassem Zement roch. In einer Pfütze.
    Mario war sauer. »Verdammte Scheiße! Wer von euch Deppen hat den bewichsten Akkuschrauber abgebrochen?«
    Antwort aus der vierten Etage: »Fresse da unten! Hast du den Gammel etwa selbst

Weitere Kostenlose Bücher