77 Tage
andere in Elternzeit.«
Piroschka Weber war das sehr junge, dunkelhaarige Mädchen, das zusammen mit Kuchenbecker und Kracht auf dem Schrank saß. Sonja Meierhoff, eine etwa Vierzigjährige mit kupferrot gefärbten Locken, musterte mich mit einem Blick, den ich nicht einordnen konnte. Freundlich war er aber auf keinen Fall.
»Wir fahren zwei Schichten: In der Frühschicht von sechs bis zwölf arbeiten vier Examinierte und zwei Pflegehelfer. Drei Examinierte und ein Pflegehelfer machen die Spätschicht von zwei bis acht. Außer montags, da beginnt die Spätschicht wegen der Dienstbesprechung etwas früher. Um genau zu sein: jetzt. Ihr habt ja gehört, dass Ben und Liliana erst mal mitlaufen. Spätschicht haben heute Hedi und …« Anna Willms warf einen Blick auf einen an der Wand hängenden Dienstplan, »… Ingo.«
Danner sparte sich ein Grinsen.
Dafür grinsten die meisten anderen im Raum.
»Dann komm du doch mit mir, Ben«, schlug Kuchenbecker rasch vor, damit er nicht am Ende noch mich mitnehmen musste.
Warum hatte Danner ständig so ein verdammtes Glück? Ich sah es kommen: Der würde den Fall lösen, bevor ich meine Ermittlungen überhaupt begonnen hatte.
Mir lächelte die lange, dünne, mutmaßlich Besoffene zu, deren Fönfrisur zuletzt in den Zwanzigern modern gewesen war. Ich sah mich schon heute Abend um zehn noch bei irgendeiner beschwipsten Oma Tee mit Schuss trinken, weil Hedi aus ihrer Arbeit ein Kaffeekränzchen machte.
Tag 4
BELLAS BLOG:
MONTAG, 15.07 UHR
Mein Leben ist doch nicht zu Ende.
Wider Erwarten habe ich meine Hochzeit überstanden. Der Alltag hat mich wieder. Gott sei Dank.
Während ich schreibe, verstärkt die Sonne den positiven Eindruck meines Daseins. Sie scheint durch die Terrassentür. Südseite. Unbebaut. Selbst mitten im Winter muss ich nicht im Schatten leben.
Heute ist Montag. Unser Flitterwochenende ist um. Und für einen Montag ist der Tag in Ordnung. Was ich meinem Job verdanke. Mein Job ist okay. Und nicht nur, weil ich bereits seit zwei Stunden Feierabend habe.
Ich arbeite bei einem Pflegedienst. Gut, klingt nicht nach einem Traumberuf. Ist es aber. Mario kann sich das gar nicht vorstellen. Eher würde er eine Klärgrube umrühren, witzelt er.
Aber ich mag meinen Job. Und ich mache ihn gut. Besser als den Haushalt zumindest.
Die Patienten mögen mich.
Und sie nehmen mich ernst.
Heute habe ich einer auffälligen Kundin verboten, die Leiharbeiterin mit dem Regenschirm zu vermöbeln. ›Auffällig‹ ist ein Begriff aus der Schwesternsprache. Bedeutet übersetzt ›der alte Drachen‹. Der Drachen hat genickt und es sein lassen. Allerdings war die Leiharbeiterin verschreckt. Sie hat noch nicht viel Berufserfahrung.
Das war so ein Moment, in dem ich meinen Job mag. Weil ich nicht austauschbar bin. Weil mich nicht jeder x-beliebige Leiharbeiter ersetzen kann. Auch wenn die Chefin das gern hätte.
Und nebenbei verdiene ich gut. Jedenfalls mehr als Mario. Meistens. Weil Mario im Winter oft stempeln muss. Zuletzt wegen der Krise bis in den April hinein.
Aber Mario hat keine Schwierigkeiten mit einer gut verdienenden Frau. Im Gegensatz zu den meisten anderen Männern.
Zu den ›meisten anderen Männern‹ zählt auch Dieter, der Teilzeit-Lover meiner Freundin Sina.
Dieter ist Webdesigner. Computerfreak. Sina auch. Als er arbeitslos wurde, hat er sie an den Rand des Wahnsinns getrieben. Er hat aufgehört, ihren Kühlschrank zu plündern. Womit er keine Schwierigkeiten hatte, solange auf seinem Gehaltsscheck die höhere Zahl stand. Er hat ihre Zahnpasta nicht mehr benutzt. Um ihr nicht auf der Tasche zu liegen. Er ist sogar nach Hause gefahren, um aufs Klo zu gehen. Damit sie nicht sein Abwasser bezahlen musste.
Sie hat sich getrennt.
Drei Wochen später stand er wieder vor ihrer Tür. Er hatte einen neuen Job. Sie hat wieder mit ihm geschlafen. Und am nächsten Morgen hat er ihr Müsli mit ins Büro genommen und Sina musste trockenen Toast knabbern.
So ist Mario nicht. Er erwähnt ausgesprochen gern, dass ich eine gute Partie bin. Besonders vor seinen Kumpeln und Kollegen. Und meist, wenn einer von dem Drei-Gänge-Menü berichtet, das ihm seine Supermutti jeden Abend serviert.
Ein Drei-Gänge-Menü habe ich noch nie zustande gebracht. Dafür lautet die vollständige Berufsbezeichnung von Mutti Melli ›Friseur-Azubi a. D.‹.
Allerdings hält Mario seine eigene Arbeit für schwieriger als meine. Anstrengender. Und unterbezahlt.
Ich gehe ja nur mit netten,
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