8 Tage im Juni
ging er zu FuÃ. Mit der Bahn würde er so schnell nicht mehr fahren. Wieder zu Hause spielte er eine Stunde»Warcraft« und sah sich danach ein Tennisspiel an. Entspannen tat ihn beides nicht.
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Joe-Joe schrie laut »Hurra«, als Jenny nach dem Essen vorschlug, zur Feier des Tages gemeinsam ins Kino zu gehen. Jasmin allerdings freute sich gar nicht, das Strahlen ihrer Augen ging plötzlich in ein nervöses Flackern übrig. »Ich war heute schon zum Einkaufen drauÃen«, murmelte sie. »Bahnfahren, in die Stadt gehen, das ist ein bisschen zu früh für mich.«
»Klar doch. Versteh ich«, log Jenny, denn sie verstand nicht. Sie spürte nur Enttäuschung, die sich wie ein ätzendes Gift in ihr breitmachte. Da hast du einfach zu viel gewollt, bist für einen Moment drauf reingefallen, dass alles gut werden könnte. Sei doch froh, dass es ihr ein bisschen besser geht. Nicht sofort nach der ganzen Hand greifen, wenn man dir den Finger hinhält. Das Leben ist hart und ungerecht. Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Lauter solche Sachen schossen ihr durch den Kopf und dann fiel ihr die Waschmaschine wieder ein. »Oleg hat eine für uns. Fünfzig Euro, Einbau inklusive. Könnte er morgen liefern. Billiger und schneller kommen wir nicht an eine neue.«
Jasmin nickte, ohne sich recht zu freuen, und sagte, dass sie es sich überlegen wollte. Jenny verstand auch das nicht. Was, verdammt noch mal, lieà ihre Mutter jetzt schon wieder zweifeln? Fast bedauerte sie, dass sie nach dem Mittagessen Oma Hilde auf dem Klo gesimst hatte, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte und auch nicht vorbeikommen musste. »Alles wieder im Lot!«, hatte Jenny geschrieben. Zu früh gejubelt.
»Bis morgen musst du dich entscheiden. Sonst ist sie weg.«
»Wer wird sie denn liefern? Oleg selbst?«
Jenny zuckte mit den Schultern. Einmal zupacken, anstatt immer alles kompliziert machen. Wie oft schon hatte sie sich das von ihrer Mutter gewünscht. Jenny reichte ihr den Zehn-Euro-Schein der Koslowski. »Zwanzig Prozent des Kaufpreises haben wir schon.«
»Geht es Blacky gut?«, fragte Jasmin, jetzt wieder mit wachem Blick.
Um Tiere kümmerte sie sich hervorragend, aber nicht mal eine Waschmaschine konnte sie ohne Probleme kaufen. Und was ihre Kinder anging ⦠Totalausfall. Klar war es ungerecht, so zu denken, das wusste Jenny, aber die Enttäuschung spülte bittere Gedanken in ihr hoch. Vielleicht hält die Besserung ja ein bisschen, vielleicht kriegt Jasmin in den nächsten Wochen wenigstens den Haushalt gemacht! Recht glauben konnte Jenny nicht daran. »Blacky geht es super«, sagte sie, weil Jasmin auf eine Antwort wartete. »Und ich geh Hausaufgaben machen. Aufräumen und so, das schaffst du doch?«
Den letzten Satz hatte sie vielleicht eine Spur zu hart oder wütend gesagt, Jasmin jedenfalls zuckte zusammen, und schnell überzog ein milchiger Tränenfilm ihre Augen: »Es tut mir so leid, was ich dir alles zumute, Jenny. Glaub mir, ich weiÃ, wie schwer das für dich ist.«
Nein, dachte Jenny, als sie wenig später auf ihr Hochbett hinaufkletterte. Du weiÃt nicht, wie schwer das für mich ist. Du weiÃt eigentlich gar nichts über mich! Sie legte sich auf den Bauch, stützte die Ellbogen auf und hielt ihren Kopf mit den Händen fest. Ein Blick aus dem Fenster auf die Bahnschienen, an die zehn Gleise liefen hier auf der Haupttrasse nebeneinander her. Manche kreuzten sich, einige führten in die weite Ferne, andere verloren sich im Nirgendwo. Unübersichtlich und trostlos. Wie ihr Leben. Schnell an was anderes denken. Trübsal blasen brachte nichts.
Jenny stemmte sich zu einem Katzenbuckel hoch, verknotete ihre Beine zum Schneidersitz, und holte ihre Schulhefte aus dem Rucksack. Sie begann ihre Hausaufgaben mit Englischvokabeln, schrieb welche in ihr Heft und versuchte die Wörter zu behalten, schweifte mit ihren Gedanken aber immer wieder ab. Der Junge auf dem Bahnsteig hatte so etwas Englisches ausgestrahlt. Vielleicht weil er ein Polohemd trug? Oder weil er ein bisschen arrogant wirkte? Wie es ihm wohl ging? Turnte er schon wieder in der Gegend herum? Oder waren seine inneren Organe verletzt und er rang in einem Krankenhausbett um sein Leben? War er vielleicht gelähmt und musste nun den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbringen? Egal, denk nicht dran,
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