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8 Tage im Juni

8 Tage im Juni

Titel: 8 Tage im Juni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Glaser
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lange man wollte. Was für verlockende Aussichten!
    Â»Hast du Geld, können wir uns ein Eis kaufen?«, quengelte Joe-Joe beim Aussteigen weiter.
    Â»Ab nach Hause!«, antwortete sie und spürte, wie ihre Stimme bei den Worten »nach Hause« in einen alarmierend piepsigen Ton umschlug. Wenn sie in die Mädchen-WG umzog, blieb die Rote Burg dann noch ihr Zuhause? Oder war ihr der Weg zurück dann für immer verschlossen?
    Joe-Joe bemerkte nichts von ihrem inneren Aufruhr, er rannte vor bis zum Platz vor der Roten Burg. Dort erinnerte nur eine einsame Waschmaschinentür an die gestrige Zerleg-Aktion der Tartaren. Wie ein gestrandetes Bullauge lag sie auf dem Sand. Auf sechs, zu Liegestühlen umfunktionierten Plastikstühlen hielten Oleg und zwei weitere Tartaren unter dem krüppeligen Gestrüpp neben dem Blauen Tor Siesta.
    Â»Jenny!« Oleg öffnete träge die Augen und griff nach ihrem Arm, als sie an ihm vorbei in den Innenhof gehen wollte. »Bist ein gutes Mädchen, kümmerst dich um die Familie, seh ich, habe ich einen Blick für. Sagt auch die Fedotowa. Kluge Alte, lügt nie. Hat mir geflüstert, ihr braucht neue Waschmaschine. Ich hab eine für euch. So gut wie neu. Freundschaftspreis fünfzig Euro, cash. Ausbau der alten, Einbau der neuen, alles inklusive. Angebot gilt bis morgen. Sag Bescheid.« Er ließ sie los und schloss wieder die Augen.
    Â»Danke«, flüsterte Jenny. Das Angebot überraschte sie. Die Tartaren verkloppten ihre Sachen eigentlich nur unter den eigenen Leuten. Immer klasse Ware, wenn man der Fedotowa glauben konnte. Fünfzig Euro für eine Waschmaschine waren so gut wie geschenkt. Na ja, nicht ganz.
    Im Innenhof rasselte sie, immer noch in Gedanken, mit dem Heimlichraucher zusammen. Erstaunlicherweise blaffte der sie nicht an, sondern reichte ihr eine fast volle Schachtel Zigaretten. »Deine Mutter raucht doch. Gib ihr die Zigaretten. Ich will es mir jetzt wirklich endgültig abgewöhnen.« Er war schneller weg, als Jenny »danke« sagen konnte. Kopfschüttelnd steckte sie die Zigaretten in die Hosentasche.
    Die Koslowski winkte ihr von den Wäscheleinen her zu, wo sie Bettwäsche aufhängte. Ihren blöden Pudel sah Jenny ein paar Meter weiter putzmunter im Sandkasten herumwühlen. Sein Frauchen fingerte einen Zehn-Euro-Schein aus ihrer Hosentasche. »Sag deiner Mutter, Blacky geht es wieder gut. Und danke noch mal!«
    Tage gibt’s, dachte Jenny, als sie das Geld einsteckte, die gibt es gar nicht. Mit Wehmut blickte sie über den weiten Innenhof. Die Schaukel auf dem Spielplatz, mit der sie es insgesamt zweimal geschafft hatte, sich zu überschlagen. Der Schwebebalken, auf dem sie mit Chantal, Cosima, Toni und den anderen Zirkus gespielt hatte, der Bolzplatz, auf dem sie sich beim Fußballspielen mehr als einmal die Knie aufgeschlagen hatte. So schlecht war das hier alles gar nicht.
    Â»Hunger!«, brüllte Joe-Joe, der schon bis zu ihrem Haus vorgelaufen war. Er machte kehrt, rannte auf sie zu, griff nach ihrer Hand und zog sie bis zum Hauseingang.
    Jenny schloss die Tür auf und Joe-Joe stürmte vor, wobei er fast die Fedotowa umrempelte, die in der ersten Etage gerade ihre Wohnung verließ. »Joe-Joe«, pfiff Jenny ihn an und bedankte sich bei der alten Frau für den Tipp mit der Waschmaschine.
    Die nickte und wedelte dabei mit den Händen, als sei dieser Gefallen nicht der Rede wert. Sie befahl Jenny zu warten, ging noch einmal in ihre Wohnung und kam mit einem Teller voller Piroggen zurück. »Hab zu viel davon gemacht«, sagte sie. »Und ich weiß doch, wie gern du die isst!«
    Jenny sog den Duft der Teigtaschen in die Nase und strahlte die Fedotowa an. »Sind das die mit Kartoffeln oder die mit Hühnerfleisch?«
    Â»Karnickel. Auch sehr fein. Hab ich von Oleg gekriegt. Weißt du, Piroggen kann man mit allem füllen. Fleisch, Fisch, Gemüse, einfach mit allem.«
    Jenny nickte und drückte der Fedotowa einen schnellen Kuss auf die Wange bevor die alte Frau bemerkte, wie sehr sie sich heute vor den Piroggen ekelte. Aber zumindest das Mittagessen für Joe-Joe und Jasmin war gesichert. Jenny brauchte den beiden nicht zu erzählen, dass sie die frisch getöteten Karnickel gestern mit schlappen Ohren und starren Augen aufgereiht vor Toni und den zwei Schlägern gesehen hatte. Von denen erfuhren Jasmin und Joe-Joe überhaupt nichts,

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