80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)
Pohlman von Open Road Integrated Media in New York. Wir danken unseren ausländischen Verlegern in Deutschland, Italien, Schweden und Brasilien dafür, dass sie an uns glauben, und natürlich auch Rosemarie Buckman von der Buckman Agency und Carrie Kania von Conville & Walsh für ihre tolle Arbeit.
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1
IM LAUF
Meine Füße im Takt mit dem Herzschlag.
Der Central Park lag unter einer weißen Schneedecke. Trotz der relativen Stille war ich mir ständig bewusst, dass rundherum auf allen Seiten die wuchernde Stadt pulsierte, eine riesige offene Hand mit einem Flecken Landschaft mittendrin, wo Hochhäuser am Rand wie dreckige graue Finger die unberührte Schneelandschaft durchstachen.
Der Schnee war noch frisch und pulverig, ich spürte, wie er unter meinen Tritten leise knirschte und sie dämpfte. Da mich keine Farben ablenkten, waren meine anderen Sinne geschärft, und so empfand ich den frostigen, trockenen Lufthauch auf meiner Haut, als streichle mich ein übernatürliches Wesen aus Eis. Der dampfende Atem vor meinem Mund erinnerte an Rauchschwaden, die kalte Luft brannte in meiner Kehle.
Ich joggte jetzt schon seit einem Monat jeden Tag – seit ich Dominiks Buch bei Shakespeare & Co am Broadway entdeckt und dann hastig verschlungen hatte, in den seltenen, gestohlenen Momenten, in denen ich allein zu Haus und nicht Simóns aufmerksamen Blicken ausgesetzt war.
Es war ein merkwürdiges Gefühl gewesen, Dominiks Roman zu lesen. Weil mir die Heldin so ähnelte. Außerdem hatte er einige unserer Gespräche in den Dialogen wiedergegeben und Szenen aus meiner Kindheit geschildert, die er aus meinen Erzählungen kannte. So beschrieb er das erstickende Gefühl, in einer Kleinstadt aufzuwachsen, und meinen Wunsch, fortzugehen. Er hatte seine Hauptfigur sogar mit roten Haaren ausgestattet.
Bei all dem hörte ich Dominiks Stimme glasklar aus dem Text heraus. Seine spezielle Wortwahl, seine Anspielungen auf Bücher, von denen ich wusste, dass er sie gelesen hatte, und auf Musik, die er mochte.
Seit unserer Trennung waren zwei Jahre vergangen. Ursache war ein schreckliches Missverständnis gewesen. Ich hatte mich von meinem Stolz leiten lassen und war bei ihm ausgezogen, was ich bis zum heutigen Tag bereute. Als ich mich schließlich aufraffte und zu ihm ging, um die Dinge mit ihm zu klären, war er nicht mehr da. Ich hatte durch den Schlitz unter seiner Tür gespäht und gesehen, dass sich die Post auf dem Boden stapelte, das Loft ansonsten aber leer war. Seither hatte ich nichts mehr von ihm gehört.
Bis zu jenem Tag, als ich in Manhattan Joggingschuhe kaufen wollte und dabei in der Auslage eines Buchladens seinen Roman entdeckte. Neugierig hatte ich ihn aufgeschlagen und verblüfft festgestellt, dass Dominik sein Buch mir gewidmet hatte, trotz unserer turbulenten Beziehung und ihres bitteren Endes: »Für S. Auf immer dein.«
Seither konnte ich kaum noch an etwas anderes denken.
Joggen war meine Art, Gefühle aus meinem Körper herauszuhämmern. Besonders im Winter, wenn alles weiß bedeckt und es in den Straßen ruhiger war als sonst. Unter all den Orten, wo ich dem Lärm und der Kakophonie der Stadt für ein Stündchen entfliehen konnte, nahm die Schneewüste des Central Park dann den Spitzenplatz ein.
Außerdem hatte ich dort nicht Simón im Nacken und konnte die Zeit zum Nachdenken nutzen.
Er dirigierte noch immer das Gramercy-Symphonia-Orchester, wo wir uns kennengelernt hatten.
Ich war dort vor drei Jahren mit der Bailly, die Dominik mir geschenkt hatte, in den Streicherchor eingetreten. Simón, der Dirigent, hatte mich unter seine Fittiche genommen, und unter seiner Anleitung verbesserte ich mich ganz gewaltig. Dann ermunterte er mich, als Solistin aufzutreten, und stellte mich einer Agentin vor. Inzwischen hatte ich ein paar Tourneen hinter mir und mehrere CDs herausgebracht.
Unsere Beziehung war beruflicher Natur gewesen, obwohl wir hin und wieder ein bisschen miteinander geflirtet hatten. Ich wusste, dass Simón in mich verliebt war, und ich hatte ihn nicht entmutigt, auch wenn bis zu meinem Zerwürfnis mit Dominik nichts zwischen uns lief. Zu jenem Zeitpunkt jedoch war ich auf Tournee gewesen und hatte, ohne eine eigene Bleibe, nicht gewusst, wohin. Simóns Wohnung nahe dem Lincoln Centre mit dem ausgebauten Probenraum kam mir da wie gerufen und schien viel praktischer als ein Hotel zu sein.
Aber dann tauchte Dominik ab, und aus ein paar Nächten mit Simón waren im
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