80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)
Handumdrehen ein paar Jahre geworden.
Ich hatte es glücklich und zufrieden einfach geschehen lassen. Simón war ein angenehmer Mensch, und ich mochte ihn, liebte ihn sogar. Unsere Freunde nahmen es begeistert auf, als sie hörten, dass wir ein Paar waren. Es wirkte so folgerichtig, der virtuose junge Dirigent und die vielversprechende Violinistin. Nachdem ich viele Jahre lang entweder bewusst als Single gelebt hatte oder mit jemandem zusammen gewesen war, den weder meine Freunde noch meine Familie für den Richtigen hielten, schien sich plötzlich alles zu fügen.
Ich fühlte mich akzeptiert. Normal.
In einer Abfolge von Proben und Auftritten, Studioaufnahmen, der Aufregung, als mein erstes Album auf den Markt kam, und dann das nächste, rauschte das Leben an mir vorbei. Heimelige Partys, Weihnachts- und Thanksgiving-Essen mit Freunden und Verwandten. Wir wurden sogar in ein paar Zeitschriftenartikeln erwähnt und als New Yorks goldenes Musikerpaar bezeichnet. Ein Foto zeigte uns nach einem Konzert in der Carnegie Hall Hand in Hand, ich hatte den Kopf auf Simóns Schulter gelegt, sodass sich meine roten Locken unter seine dunklen mischten. Das lange schwarze Samtkleid, das ich trug, war am Rücken tief ausgeschnitten.
Dieses Kleid hatte ich auch bei meinem ersten Konzert für Dominik getragen, als ich in dem Musikpavillon in der Hampstead Heath Vivaldis Vier Jahreszeiten spielte.
Dominik und ich hatten damals eine Abmachung getroffen. Er würde mir eine neue Geige kaufen – meine alte war in der U-Bahn-Station Tottenham Court Road bei einem Tumult zu Bruch gegangen –, wenn ich für ihn im Pavillon und später noch einmal bei einem sehr viel privateren Auftritt, dann allerdings nackt, musizierte. Zwar war das von einem Fremden ein unverfrorenes Ansinnen, doch es hatte mich in einer Weise erregt, die ich mir damals nicht erklären konnte. Dominik hatte etwas in mir erkannt, was ich selbst erst noch entdecken musste. Eine schamlose Begierde, die ich nicht einmal ansatzweise erkundet hatte. Eine Seite von mir, die mir seither sowohl Lust als auch Schmerz bereitete.
Dominik stand zu seinem Wort und ersetzte meine alte kaputte Geige durch die Bailly, die ich seither bei allen meinen Konzerten spiele, während ich zum Üben oft Ersatzinstrumente nehme.
Simón hatte mir unbedingt eine neue Geige kaufen wollen. Er zog modernere Instrumente vor, die einen klareren Ton hatten, und fand, ich sollte den Wechsel zu einem härteren Klang wagen. Doch vermutlich wollte er nur, dass es in meinem Leben nichts mehr gab, was mich ständig an Dominik erinnerte. Natürlich hatte ich inzwischen genügend Angebote von Musikmäzenen und Geigenbauern bekommen, um die Bailly zehnmal ersetzen zu können.
Aber Dominiks Geschenk war ein Stück Heimat für mich. Kein anderes Instrument hatte denselben Klang, dasselbe ideale Gewicht in meiner Hand, denselben perfekten Sitz, wenn ich es unters Kinn legte. Beim Spielen auf der Bailly dachte ich zwangsläufig an Dominik, und ebendiese Gedanken führten mich dorthin, wo ich beim Musizieren am besten war: wenn ich wegdriftete, mein Körper Oberhand über den Geist gewann, mein Verstand sich zurückzog und mich einem Wachtraum überließ, in dem die Musik lebendig wurde. Dann musste ich nicht mehr spielen, sondern mich nur noch dem Traum hingeben. Meine Bogenhand strich dann von ganz allein über die Saiten.
Überrascht sah eine Frau mich an. Sie trug eine dicke Jacke, hatte die Kapuze als Schutz vor der Kälte eng ums Gesicht gezogen und schob einen knallblauen Kinderwagen mit einem warm einpackten Baby vor sich her. Ein anderer Jogger, von Kopf bis Fuß in leuchtend gelber Thermokleidung mit reflektierenden Streifen, warf mir im Vorbeilaufen einen wissenden Blick zu.
Unter anderem hatte mir Simón zu Weihnachten eine Laufausrüstung geschenkt. Vielleicht wollte er mir damit signalisieren, dass er endlich aufhören würde, mir stattdessen ständig ein Fitnessstudio zu empfehlen? Er mochte es nämlich nicht, wenn ich im Central Park lief, insbesondere am frühen Morgen oder spätabends, und zitierte Statistiken, wie groß die Gefahr war, dass eine Joggerin im Central Park überfallen wurde – offenbar war das Risiko montagmorgens um sechs für Frauen mit blondem Pferdeschwanz am höchsten. Damit sei ich doch fein raus, erwiderte ich, als Rothaarige, die um sechs Uhr morgens garantiert noch nicht aufgestanden war. Aber er ließ nicht locker.
Neben Designer-Thermohandschuhen und einem Set
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