80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)
und noch vor seiner Abreise für ihn zu spielen. Er hatte einen Nachtflug gebucht und wollte am nächsten Tag gegen sechzehn Uhr mit dem Taxi zum Flughafen fahren, um nach London zurückzufliegen, zu seinen Pflichten an der Universität und zu seinem Haus voller Bücher in der Nähe der Hampstead Heath. Meine freie Woche neigte sich dem Ende zu, am Montag würden die Orchesterproben für unser nächstes Konzert beginnen.
Wie es mit uns weitergehen sollte, hatten wir nicht besprochen. Vor meinem Umzug nach New York hatten wir in London eine lockere Affäre gehabt, eine Beziehung ohne feste Strukturen. Dominik hatte mir erklärt, ich sei frei, meine eigenen Erfahrungen zu sammeln, solange ich ihm hinterher in allen Einzelheiten davon berichtete. Mir hatte das gefallen. Es machte mich an, ihm zu erzählen, was ich alles angestellt hatte, und manchmal ließ ich mich auf Sachen ein, nur um sie ihm später gestehen zu können. Dominik wusste das natürlich nicht. Er war für mich der Beichtvater, den ich nie gehabt hatte. Meine Schilderungen hatten ihn amüsiert und manchmal erregt, bis zu jenem Abend, an dem er mich mit Jasper sah und zwischen uns erst einmal alles aus war.
Von Victor, dem Mann, mit dem ich mich in New York eingelassen hatte, erzählte ich ihm allerdings nichts, ich hatte auch keine Ahnung, wie ich ihm diese Geschichte beibringen sollte. Victors Spiele waren weit perverser als Dominiks Neigungen. Victor hatte mich sogar versteigert und seinen Bekannten erlaubt, mich ganz nach ihrem Geschmack zu benutzen. Ich hatte mitgespielt, das meiste sogar genossen. Sollte ich Dominik davon erzählen? Ich war mir unsicher. Vor gerade mal achtundvierzig Stunden hatte ich mich noch auf Victors Party befunden, auf der er mich für alle Zeiten als seine Sklavin und seinen Besitz hatte markieren wollen. Ich hatte mich geweigert und war gegangen. Lebenslang ein Zeichen zu tragen, war mir dann doch zu viel. Inzwischen schien mir das Ganze allerdings schon eine Ewigkeit her zu sein. Meine Stunden mit Dominik hatten – zumindest für den Augenblick – alles ausgelöscht, was Victor an Nachgeschmack hinterlassen hatte. Außerdem kannten sich Dominik und Victor aus London, wie ich unterdessen wusste, das machte die ganze Angelegenheit noch heikler.
»Wie läuft’s in London?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln.
Obwohl ich in den Restaurantkritiken gelesen hatte, dass man hier ewig auf die Bedienung wartete, brachte man uns bereits unsere Speisen. Auf einer großen weißen Platte lagen, wie Juwelen im Kreis angerichtet, ein Dutzend geöffnete Austern und in der Mitte zwei Zitronenhälften, die zum Schutz vor losen Kernen in ein Stück weißes Musselin gehüllt waren, als könnte ein böser Zitronenkern, der sich aus dem Fruchtfleisch stahl, genügen, uns den ganzen Genuss zu verderben.
Dominik zuckte die Achseln. »Du hast nicht viel verpasst. Ich habe gearbeitet, meine Vorlesungen gehalten und in der freien Zeit ein paar Aufsätze verfasst, also viel geschrieben.« Er sah auf, blickte mir in die Augen, zögerte kurz. »Du hast mir gefehlt«, fuhr er fort. »Wir müssen demnächst mal über alles reden. Aber jetzt wollen wir erst unser Essen genießen. Probier deine Austern.«
Dominik nahm eine der Schalen von der Platte, legte sie auf die Hand und schob sich mithilfe einer feinen silbernen Gabel das Austernfleisch geschickt in den Mund. Es hatte recht kraftvoll ausgesehen, als er sie mit Zitrone beträufelt hatte – er zerquetschte die Frucht eher, als dass er sie ausdrückte, bevor er mit zwei resoluten Drehungen schwarzen Pfeffer aus der Mühle darüberstreute. Und ebenso gezielt und entschlossen hatte er sich jetzt das Austernfleisch in den Mund befördert, ohne das kleinste Stückchen oder ein Tröpfchen Saft zu verlieren.
Ich ließ die Gabel liegen und schlürfte die Auster direkt aus der Schale. Ich mochte es gern, wenn das glitschige Fleisch ohne störendes Besteck nass auf meine Zunge traf und mir der salzige Saft über die Lippen rann.
Als ich aufsah, merkte ich, dass Dominik mich beobachtete.
»Du isst wie ein wildes Tier!«
»Das ist nicht das Einzige, was ich so mache.« Der Anflug eines frechen Lächelns huschte mir übers Gesicht.
»Das kann ich nur bestätigen. Und das gefällt mir an dir. Du nimmst dir, was du willst, was immer es auch ist.«
»In Neuseeland ist das die feine Art, Meeresfrüchte zu essen. Manche Leute beißen da den Pipi-Muscheln, die man am Strand findet, gleich lebendig die
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