80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)
Zunge ab, die sie aus dem Gehäuse strecken.«
Dominik lächelte. »Und gehörst du auch zu den Leuten, die in lebendige Meerestiere beißen?«
»Nein, das bringe ich nicht fertig. Ich finde das barbarisch.«
»Aber du hast andere dafür bewundert, oder?«
»Ja. Ja, das habe ich.«
Ich nehme an, das gehört dazu, wenn man von Natur aus mit Widerspruchsgeist ausgestattet und eine Rebellin ist. Denn je mehr sich an einer Essgewohnheit die Geister scheiden, desto mehr kann man davon ausgehen, dass ich mit den Radikalen sympathisiere oder sie zumindest leise bewundere.
»Wollen wir ein bisschen bummeln?«, fragte Dominik, nachdem er sich bei den Kellnern bedankt hatte. Sie hatten uns sehr herzlich einen schönen Abend gewünscht, Dominik hatte auch ein großzügiges Trinkgeld gegeben. Irgendwo hatte ich mal gelesen, man könne einen Mann danach beurteilen, wie er Tiere, seine Mutter und Kellner behandelt. Nun, Letzteres konnte ich bei Dominik eindeutig unter der Spalte »Vorzüge« abspeichern.
Ich warf einen Blick auf meine schwarzen Lack-Stilettos. Schuhe zum Wechseln hatte ich nicht, denn ich hatte meine schickste Handtasche dabei, und darin war kein Platz dafür.
»Wir können ein Taxi nehmen, wenn dir die Füße wehtun«, sagte er.
»Gerne, denn das sind wirklich keine Wanderschuhe.«
Ich dachte, er würde sich gleich auf den Weg machen, um nach einem Taxi zu winken, doch stattdessen griff er nach meiner Hand und zog mich stürmisch zu sich heran. Er drängte mich an die Außenwand des Lokals, dort, wo die Treppen zum Ausgang Richtung East 43rd Street sind, und strich mir mit den Händen über den Körper, um sie schließlich auf meinen Hintern zu legen. Ich meinte, in seiner Hose eine Schwellung zu spüren, und wollte, um sicherzugehen, danach tasten, doch er gab mir einen Klaps auf meine suchenden Finger. Verdammt. Mit seiner Art, mich in Fahrt zu bringen und dann hängen zu lassen, trieb er mich immer wieder in den Wahnsinn. Ich konnte es kaum erwarten, ins Hotel zurückzukommen.
»Du bist sie schneller los, als du denkst, dafür werde ich schon sorgen«, sagte er, als er mich freigab. Er bemühte sich erst gar nicht zu flüstern.
Eine Frau mittleren Alters in der inzwischen mächtig angewachsenen Schlange vor der Oyster Bar, die eine beigefarbene Hose, Pumps aus falschem Schlangenleder und trotz der Hitze eine rosa Strickjacke trug, schnalzte missbilligend mit der Zunge.
Dominik hakte mich unter, und wir wandten uns in die 42nd Street Richtung Park Avenue. Um uns herum tobte das Leben mit den üblichen Partygängern, Touristen, Showgirls und Schaulustigen, allesamt aufgeputzt und auf der Suche nach ein bisschen Unterhaltung am Samstagabend. Für die meisten hatte der Spaß gerade erst begonnen, und sie wirkten wie aufgeladen und elektrisiert von den hellen Lichtern und flimmernden Leuchtreklamen, den vorbeirauschenden Autos, und der Times Tower reckte sich über uns in den Himmel wie ein gigantischer, knallbunter Stinkefinger, eine Botschaft an die respektableren Viertel der Stadt.
»Hast du immer noch Lust, dir ein Musical anzusehen?«, fragte ich in der Hoffnung, er würde Nein sagen. Unser Plan für den Abend war es gewesen, wie typische Touristen in ein Broadway-Theater zu gehen. Sicher, wir waren fast den ganzen Tag miteinander im Bett gewesen, doch ich hatte noch nicht genug und wollte unsere letzte Nacht nicht ungenutzt verstreichen lassen.
»Eine Darbietung von dir wäre mir lieber.« Dominiks Augen funkelten, und mein Herz schlug ein bisschen schneller, als ich daran dachte, wie sehr ihn all die Privatkonzerte erregt hatten, die er organisiert und bei denen ich in verschiedensten Graden von Nacktheit für ihn gespielt hatte. Ich dachte an die kostbare Geige, die Bailly, die er für mich gekauft hatte, nachdem mein altes Instrument zu Bruch gegangen war. Als Gegenleistung hatte er lediglich verlangt, dass ich Vivaldi für ihn spielte – nackt. Und ich erinnerte mich, wie er mich nach meinem ersten Konzert in einer Londoner Krypta an Ort und Stelle gevögelt hatte. Anschließend hatte er mich in sein Haus in Hampstead mitgenommen, wo ich mich auf seinen Wunsch hin selbst zum Orgasmus brachte, während er auf seinem Bürostuhl saß und zusah.
Wir standen zwischen den unzähligen in alle Richtungen eilenden Passanten an der Kreuzung. Hätte jemand diesen Augenblick in einer Langzeitbelichtung festgehalten, so wären darauf wahrscheinlich nur Dominik und ich als klare Umrisse zu sehen
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