80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)
das eine Ermahnung oder eine Ermunterung sein sollte.
Oft macht der Zufall die besten Absichten zunichte. Auf dem Flug von London nach New York las die Frau am Fensterplatz zu seiner Linken Der große Gatsby , für Dominik eine perfekte Gelegenheit, ein Gespräch anzuknüpfen. Dieses Buch kannte er praktisch von der ersten bis zur letzten Seite auswendig, so lange hatte er bei den verschiedensten Gelegenheiten darüber gebrütet. Die Frau hieß Miranda.
Wäre das Gespräch so schnell zu einem Flirt geworden, wenn es sich um ein anderes Buch gehandelt hätte? Oder wenn Summers amüsante Schilderung ihres One-Night-Stands in Manhattan ihm nicht wochenlang im Gedächtnis geblieben und dort geschwärt hätte?
Dominik wusste, dass er nicht eifersüchtig war. Er war Realist.
Das war der Grund, weshalb er Summer die Bedingungen ihres Verhältnisses so unmissverständlich klargemacht und mit ihr vereinbart hatte, dass es sich um keine exklusive Beziehung handeln sollte. Aber manchmal hört das Herz nicht auf den Verstand.
Im Gegensatz zu Summer, so jedenfalls sein Eindruck, legte er es nicht darauf an, etwas anzubahnen (nur weil sie es provoziert hatte, war es ja zu ihrer Begegnung mit diesem – wie hieß er noch mal? Gary? Greg? – gekommen). Er zog es vor, einfach darauf zu warten, was das Leben für ihn in petto hatte. Vor vielen Jahren, er war erst Anfang zwanzig und knapp bei Kasse gewesen, konnte er sich keinen Flug von London nach Paris leisten. Also war er stattdessen mit dem billigen Reisebus gefahren, der die Waterloo Coach Station mit der Place de la République verband. Er hatte neben Danielle gesessen, einer jungen, dunkelhaarigen Französin. Vielleicht hatte auch sie ein Buch gelesen, das er kannte, er konnte sich nicht mehr erinnern. Jedenfalls war er rasch mit ihr ins Gespräch gekommen.
Sie war auf dem Rückweg von London, wo sie eine Fernbeziehung mit einem indischen Medizinstudenten führte, die offenbar in den letzten Zügen lag. Dominik war gerade ungebunden. Da sie sich gut verstanden, tauschten sie Telefonnummern und Adressen aus, bevor sie nach der Ankunft ihrer Wege gingen. Es war eindeutig, dass Danielle nichts anbrennen ließ und ziemlich in den Tag hineinlebte. Noch vor Ablauf einer Woche rief er sie an, was sie beide ins Bett und zu einer anderthalb Jahre dauernden Affäre führte. Oder zumindest stand Dominik auf der Liste ihrer zahlreichen Liebhaber, denn Danielle geizte nicht mit ihren Reizen und gab offen zu, dass er nicht der Einzige war, mit dem sie regelmäßig schlief. Eines Nachts klopfte sogar ein anderer Mann an die Tür, als sie in ihrer kleinen Wohnung in der Nähe des Gefängnisses La Santé erschöpft im Bett lagen. Sie ließ ihn bereitwillig ein und mit unter die Decke schlüpfen, und die beiden Männer vögelten sie abwechselnd, je nachdem, welchem sie sich gerade zuwandte.
Als er dann wieder nach London zurückging, riss der Kontakt zu Danielle ab, bis sie ihn eines Nachmittags panisch an seinem Arbeitsplatz anrief. Ein Mann, mit dem sie ins Bett ging, hatte sie auf die Straße gesetzt, weil sie angeblich seine Brieftasche gestohlen hatte. Jetzt saß sie ohne einen Penny da und brauchte dringend Dominiks Hilfe. In ihrer verzweifelten Lage – allein in London und nicht einmal mit Wäsche zum Wechseln, denn der Typ hatte einfach ihren Koffer einbehalten – hatte sie sogar versucht, in den Seitengassen von Soho anzuschaffen, aber ohne Erfolg. Dominik brachte sie um zwei Uhr morgens in einem kleinen Hotel in Bloomsbury unter und lieh ihr das Geld für die Rückfahrt nach Paris am folgenden Tag. Da es für ihn schon zu spät war, nach Hause zu fahren, denn er hatte nicht mehr genug Geld für ein Taxi, blieb er bei ihr in dem kleinen Hotelzimmer, und sie bumsten bis zum Morgengrauen. Danielle heulte viel in dieser Nacht. Eines führte zum anderen, denn sie wussten beide, dass sie sich danach nie wiedersehen würden, und schließlich hatten sie Analsex. Es war sein erstes Mal. Als er frühmorgens ging, weil er zur Arbeit musste, schlief Danielle tief und fest. Ihr Make-up war verschmiert, und der dunkle Hof einer ihrer Brustspitzen lugte unter dem verknitterten Laken hervor. Sie war immer eine leidenschaftliche Geliebte gewesen, manchmal hatte ihn ihr Draufgängertum sogar erschreckt. Er verabschiedete sich nicht einmal von ihr, was ihm jahrelang Gewissensbisse bereitete.
Irgendwie hatte er damit gerechnet, dass es mit Danielle ein schlechtes Ende nehmen würde, doch als er
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