80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)
machte sich von mir los und stemmte steif die Arme in die Hüften.
»Tut mir leid. Das hätte ich nicht tun sollen.«
»Ist schon in Ordnung. Wir arbeiten zusammen.«
»Ich weiß. War eine blöde Idee.«
»Ja, wirklich eine blöde Idee.«
Ich nahm das Seil und stopfte es wieder in die Handtasche. Meine Schlüssel glitzerten in der Seitentasche, genau dort, wo sie sein sollten.
»Bestimmt hattest du sie vorhin schon entdeckt«, sagte ich vorwurfsvoll.
»Richtig. Ich wollte noch ein bisschen Zeit mit dir rausschinden.«
»Danke für das Essen und für das Bullenreiten.«
»Danke, dass du den Abend mit mir verbracht hast.«
Er war wieder so wie immer, freundlich, professionell, flirtend, aber als wäre es ihm nicht ernst damit. Obwohl es ihm, wenn ich es nach dem Kuss beurteilte, doch ernst war.
»Ich gehe jetzt rein.«
»Und ich hole mir meinen Schönheitsschlaf. Morgen proben wir wieder. Und wir können anfangen, deinen Soloauftritt zu planen.«
»Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Ich ließ ihn auf der Schwelle stehen und zog die Tür hinter mir zu.
Ich hatte noch immer nichts von Dominik gehört, doch es kam mir so vor, als würde er über den Ozean hinweg mein Verhalten ganz und gar nicht gutheißen.
6
EINE OASE AN DER SPRING STREET
Zwei Wochen nach seiner Rückkehr aus New York lag die offizielle Zusage für das Forschungsstipendium in Dominiks Briefkasten. Da ihm der Eindruck vermittelt worden war, er bekäme schneller Bescheid, hatte er eine unangenehme Woche hinter sich, in der er zwischen hoffnungsvoller Erwartung und leichter Depression schwankte, während er auf die Entscheidung des Stiftungsbeirats wartete.
Wie er inbrünstig gehofft hatte, wurde ihm eines der Vollstipendien angeboten. Man erwarte ihn gleich nach den Osterferien in Manhattan, dann werde ihm in der New York Public Library ein kleines Büro zur Verfügung stehen, und er hätte sowohl elektronischen als auch physischen Zugang zu sämtlichen Materialien. Im Gegenzug sei es erforderlich, dass er einmal im Monat einen höchstens einstündigen Vortrag über ein Thema seiner Wahl halte. Wie viel Zeit er tatsächlich mit Recherchen in dem beeindruckenden Gebäude mit den steinernen Löwen an der Ecke Fifth Avenue und 42nd Street verbringen wolle, sei ihm überlassen.
Somit blieben Dominik knapp drei Monate, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen: Er musste sich von seinem Londoner Uni-Job freistellen lassen und helfen, eine Vertretung für sich zu finden, und, am allerwichtigsten, eine Unterkunft in New York auftreiben, denn dabei konnte ihn die Stiftung nicht unterstützen.
Dominik rief Summer an.
»Es ist endlich entschieden. Ich habe das Stipendium!«
»Oh, toll! Wunderbar.«
»Ich komme gleich nach Ostern.«
»Oh …«
»Was ist?«
»Da stecke ich bis zum Hals in Proben. Für den Solo-Auftritt.«
»Kein Problem. Ich werde etwas finden, wo du Tag und Nacht auf der Bailly spielen kannst, ohne dass sich irgendwelche Nachbarn gestört fühlen.«
»Das wäre zu schön«, meinte Summer. »Jetzt muss ich mich meistens mit einem kleinen Raum hinter dem Konzertsaal begnügen. Nicht gerade inspirierend, dieses Kabuff. Außerdem muss ich es immer Tage im Voraus buchen, weil so viele Musiker zusätzliche Probezeiten wollen. Simón hat mir zwar angeboten, in seiner Wohnung an der Upper West Side zu üben, aber mir ist nicht wohl dabei, ihn so auszunutzen.«
»Das verstehe ich.«
»Außerdem bin ich lieber allein, wenn ich mich vorbereite«, setzte Summer hinzu.
»Und was ist mit mir? Gibt’s keine Privatkonzerte mehr?«
»Das ist ein vollkommen anderes Thema«, erwiderte sie.
In Manhattan etwas zur Miete zu finden, ist selbst dann eine mühselige Angelegenheit, wenn Geld keine Rolle spielt. Insbesondere, wenn man nicht vor Ort ist. Die Internetsuche erwies sich als reinste Zeitverschwendung, also beauftragte Dominik einen örtlichen Makler, der ihm ein Loft in SoHo anbot, im vierten Stock eines Gebäudes an der Spring Street, gleich um die Ecke vom West Broadway.
Summer besichtigte es für ihn und erklärte, es sei perfekt. Das Loft sei riesig, berichtete sie, habe ein wunderbares Licht, und die Akustik sei unglaublich. Zwar sei es ausgesprochen minimalistisch eingerichtet, aber die vielen Bücher, die Dominik zweifellos binnen Kurzem anschleppen würde, gäben ihm bestimmt bald Wärme und eine persönliche Note.
Der Mietvertrag lief über zwölf Monate, und sie vereinbarten, dass Summer bereits einen Monat vor Dominik
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