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80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)

80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)

Titel: 80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
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meiner Wut hatte ich nicht mehr auf die Umgebung geachtet, daher wusste ich weder, wie ich hierhin gekommen war, noch wohin der Weg führte.
    Der Park war leider nicht der erhoffte Ort der Ruhe und Beschaulichkeit, sondern voll kreischender Kinder. Ich stand in der Nähe des Denkmals von Alice im Wunderland, hatte ihn also offenbar an der 74th Street betreten und wusste nun zumindest, wo ich mich befand.
    Eltern, Kindermädchen und der Nachwuchs hatten diese Stelle des Parks fest im Griff. Die Kleinen kletterten und rutschten über den großen Pilz, auf dem Alice sitzt. Die Bronze ist stellenweise spiegelglatt von den unzähligen Patschhändchen, die seit Jahrzehnten darüberstreichen – wohl um den magischen Knopf zu finden, der sie ins Kaninchenloch hinabstürzen lässt.
    Ich hätte ihnen ja gern geraten, die Kindergeschichten zu vergessen, weil im wahren Leben viel wundersamere Dinge geschahen. Aber ich glaube, ich wäre damit bei den ohnehin schon reichlich genervten Aufsichtspersonen nicht gut angekommen. Ein kleines Mädchen in einer roten Jacke und passenden roten Schuhen mit gelben Schnürsenkeln versuchte, dem verrückten Hutmacher den Zylinder vom Kopf zu reißen. Als seine Mutter es fortzerrte, begann es zu plärren.
    Ich setzte mich ins Gras und versuchte mir vorzustellen, wie mein Leben aussehen würde, wenn ich den üblichen Weg gegangen wäre – wenn das Mädchen in der roten Jacke meine Tochter wäre, wenn ich ein Haus mit Garten und Bassethund hätte, in das ich abends zurückkehrte, und einen festen Job, für den ich nicht bis in die Nacht in Konzertsälen spielen oder bald im Tourneebus hocken musste.
    Das alles könnte ich haben, wenn ich es wollte. Vielleicht nicht mit Dominik, aber mit Simón oder mit einem der vielen Durchschnittstypen, in die ich mich dann vielleicht verliebte, bis sie mich nach einiger Zeit langweilen würden. So einen Mann könnte ich meiner Familie und meinen Freunden vorstellen, mit ihm ausgehen und Familienfeiern besuchen und, wenn wir Glück hatten, vielleicht sogar alt werden.
    Welch schreckliche Vorstellung!
    Gewiss, mein Leben mit Dominik in seinem Loft in SoHo war weiter von der Normalität entfernt, als die meisten Leute gut fanden; und als umherreisende Konzertmusikerin würde es mir noch schwerer fallen, den Sprung zurück in eine geregelte Existenz zu schaffen; doch es war das Leben, für das ich mich entschieden hatte und das zu mir passte.
    Ich war schon immer lieber gegen den Strom geschwommen, auch wenn das ein mühsamer Weg war.
    In den nächsten beiden Wochen aber verflüchtigte sich mein neu gefundenes optimistisches Lebensgefühl wieder. Die Zeit bis zum Beginn der Tournee verging wie im Rausch. Das Leben schien es so eilig damit zu haben, mich auf diesen neuen Pfad zu führen, dass es seine Geschwindigkeit verdoppelte.
    Nur eine Handvoll Musiker des Gramercy Symphonia-Orchestra konnten mich auf die Tournee begleiten, darunter niemand, den ich gut kannte. Mir wurde bewusst, dass ich mich seit meiner Ankunft in New York derartig auf mich selbst konzentriert hatte, dass ich mit keinem meiner Orchesterkollegen, außer mit Marija und Baldo, näheren Kontakt geknüpft hatte. Die meiste Zeit hatte ich damit verbracht, mit Simón zu reden. Susan und er fanden die weiteren Instrumentalisten in ihrem Bekanntenkreis, über Empfehlungen und über Susans Kartei. Sie waren allesamt tourneeerfahren und gewohnt, sich rasch auf fremde Musiker einzustellen.
    Wir probten viele Stunden, wofür uns Simón den Übungsraum in seinem Keller zur Verfügung stellte. Das war eine weit angenehmere Umgebung als das düstere, schäbige Gemäuer, in dem wir sonst geübt hatten, das zwar ganz in der Nähe meiner alten Wohnung lag, in dem es aber selbst bei fest geschlossenen Fenstern ständig zog wie Hechtsuppe.
    Die Tournee sollte uns zuerst für ein paar Abende nach Calgary führen, dann nach Toronto und Québec und schließlich Richtung Süden an der amerikanischen Ostküste entlang. Auf dieser Etappe wäre ich wieder in der Nähe von New York und damit in der Lage, immer wieder Dominik kurz zu sehen.
    In den letzten zehn Tagen hatte ich ihn kaum noch zu Gesicht bekommen. Seitdem ich ihm von der Tournee erzählt hatte, war er abgetaucht, behauptete, mit seinen Forschungsarbeiten und Vorlesungsverpflichtungen im Rückstand zu sein, und verbrachte immer mehr Zeit in der Bibliothek. Seit dem Morgen nach meinem Konzert hatten wir keinen Sex mehr gehabt. Und meine Bemühungen, sein

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