~900 Meine Reise auf dem spanischen Jakobsweg. (German Edition)
des Jakobsweges. Nuancen verändern langsam die Welt um mich herum. Und mich. Ohne dass ich es genau fassen oder benennen kann.
An meinem heutigen Zielort komme ich als Erster an. Warum weiß ich nicht. 22km ist nicht unglaublich wenig, aber vielleicht war ich einfach schnell, weil ich die Massen vor mir nicht ertragen konnte. Die Herberge macht erst um zwei auf, doch Langeweile bekomme ich nicht. Es dauert nicht lange bis die nächsten Pilger eintreffen, sich in die Rucksackschlange einreihen, die ich begonnen habe.
Wieder einmal gibt es durch ein Dorffest viel zu schauen. Wie ich später erfahre ist es der Tag des Kreuzes. Ein lokaler Feiertag. Der Pfarrer erklärt mir, dass nicht nur das Kreuz Jesu geehrt wird, sondern jeder auch sein eigenes Kreuz respektierend betrachtet. Also jenes Gewicht, das ein jeder von uns durch den Tag trägt wird hier verehrt – es gehört zum Leben dazu. Ich denke lange über mein eigenes ‚Kreuz’ nach, das eigentlich sehr leicht ist. So viele Probleme ich auch habe, ich würde sie nicht wirklich als Kreuz betrachten. Nicht als so schwer, dass ich es mit dem Leiden anderer vergleichen könnte ohne mich direkt dafür zu schämen. Das Fest wird in schönen Kostümen begangen, die Einheimischen führen eine kleine Sensation auf. Ein mitreißender Rhythmus wird mit Kastanietten gespielt, jeder kennt seine Rolle.
Das Fest trägt mich mit sich mit, sogar Speisen werden gereicht, auch allen Pilgern die vorbeikommen. Heute ist hier jeder Gast. Zwar fühle ich mich in meinen dreckigen Kleidern etwas deplaziert und so viele Menschen machen mich nervös, doch auf der anderen Seite reißt die Lebensfreude einfach mit. Außerdem ist nach Ansicht der Feiernden all dieses egal, ganz gleich welche Religion, Hautfarbe oder Kleider jemand trägt, jeder ist willkommen und wird aufgenommen und bewirtet. Das passt zu der Pilgerdiskussion: Eigentlich sollte, so wie hier, jeder dazugehören der möchte.
Wieder ereignet sich ein Zufall: Luises Mutter hatte ihre Brille verloren und sie auf verschlungenen Wegen wieder gefunden. Warum die Gegenstände von anderen nicht auf der Party der verlorenen Dinge bleiben mögen weiß ich nicht, vielleicht gibt es einen Türsteher?!
15.09.08 22km nach Molinaseca – Cruz de Ferro ohne Heiligkeit
Dank Vollmond träume ich seltsam. Inzwischen träume ich schon vom Pilgern, vom Laufen und dem generellen Tagesablauf. Heute habe ich geträumt plötzlich nach Hause zu müssen, an den Grund kann ich mich nicht mehr erinnere. Ein wenig erschreckt mich der Gedanke. Ich weiß jetzt, dass ich noch nicht fertig bin. Ich will nicht Heim, um keinen Preis. Egal wie oft ich schon heim wollte, mein Traum hat mich erschreckt. Er hinterlässt das dumpfe Gefühl von Angst und Sehnsucht. Mit diesen Gedanken möchte ich aufbrechen. Wieder auf den Weg, weg von den Träumen.
Doch zuerst geht es herunter in die Küche. Es gibt ein gutes Frühstück und der Herbergsvater macht aus fast jedem Kommentar ein Lied, dass er laut vorträgt. Das Lied, das am längsten für mich wirkt heißt ‚ Ist a long way to Santiago ist a long long way to goho’ . Was ich noch nicht weiß ist, dass das Lied sogar so lange nachklingen wird, dass ich es noch in meinem Kopf habe, als ich schon längst wieder daheim bin. Es ist ein wenig albern, aber es amüsiert mich.
So gestärkt und jetzt mit verschiedenen Liedern auf meinen Lippen geht es stets hinauf Richtung Cruz-de-Ferro. Erst jetzt, also viel zu spät, fällt mir wieder ein, dass ich am Kreuz, dem höchsten Punkt am Weg, den Sonnenaufgang sehen wollte. So geht die Sonne an diesem Tag auf als ich irgendwo bin. Ein kleiner verpasster Traum, doch ich trauere ihm nur kurz nach. Die Aussicht am Cruz de Ferro ist trotzdem wunderschön. Der Weg hinauf jedoch kam mir nicht annähernd so schwer vor wie die Strecke des ersten Tages über die Pyrenäen. Es ist ernüchternd wie leicht es war den höchsten Punkt des gesamten Weges zu erreichen. Es nimmt diesem ein wenig den Zauber.
Am Kreuz ist viel los, manche Menschen sind in Tränen aufgelöst, für mich sind die Momente dort überraschend leer. Zwei Steine habe ich mit auf den Weg genommen. Symbole für Probleme und Lasten, die ich mit mir trage. Ich suche sie aus meinem Rucksack. Es dauert, die Zeit zieht sich hin. Meine Mitbringsel sind irgendwo verloren gegangen zwischen all meinen Sachen, waren nie bedeutend, nur zusätzliches Gewicht von dem ich mich hier symbolische erleichtere wie es
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