~900 Meine Reise auf dem spanischen Jakobsweg. (German Edition)
Boden. Ich scheuche sie in die Dusche und beseitige abermals das Ergebnis von viel zu viel Wein gepaart mit der großen körperlichen Anstrengung am Tage.
Lange liege ich noch wach und höre zu wie sie wieder ruhig schläft. Wahrscheinlich hundert Mal hat sie sich bei mir entschuldigt, ich nehme es gelassen, nur der Schlaf wird mir sicherlich morgen früh fehlen. Ich denke an den Rentner, der sich über die Jugend lustig macht, weil ihnen so viel weh tut. Er geht jeden Tag höchstens 15km. Ich grinse noch ein wenig über eine solche Einstellung, dann merke ich wie ich zurücksinke in den Traum aus dem ich so unsanft gerissen wurde.
17.09.08 25km nach Vega del Valcarce – Verpasste Gelegenheiten
Ich wache trotz meiner unangenehmen nächtlichen Unterbrechung noch vor meinem Wecker auf. Inzwischen ist mein Rhythmus völlig auf 6:20 geeicht. Zeit und Entfernung haben nun eine gänzlich andere Bedeutung. Jetzt sind es oftmals ‚nur’ noch 5 km zu gehen. In den ersten Tagen, war dies noch eine noch fast unmöglich weite Strecke. Wenn ich weniger als 20 km am Tag gehe, fühle ich mich nicht ausgelastet. Auch das Gewicht auf dem Rücken ist so gewohnt, dass ich mich erst gut fühle, wenn ich morgens den Rucksack aufgesetzt habe: ‚Jetzt ist es wieder richtig’, denke ich dann.
In Villafranca halte ich in einem Café an um mich für den Camino-Duro zu stärken. Ich habe mir jetzt fest vorgenommen ihn zu gehen, obwohl ich auch Angst davor habe. Dieses Wegstück soll besonders steil sein und auf kürzester Strecke sehr große Höhen überwinden. Ich möchte das schwerste auf dem Weg bewältigt haben wenn ich heim komme. Jede Herausforderung auch annehmen, sie nicht schnöde umgehen aus Angst.
Leider ist es mir wohl nicht gegönnt ihn zu gehen. Wieder auf dem Weg stelle ich nach einer Weile fest, dass ich ganz offensichtlich die Abzweigung nicht gesehen habe. Erst später erfahre ich, dass die Pfeile verblasst waren und auch nicht sehr groß. Mein kleiner roter Helfer (das Wanderbuch) hat dieses Mal nicht geholfen. Ich bin enttäuscht. Eigentlich bin ich sogar wütend auf mich selbst. Auf mich selbst, weil ich den Pfeil nicht gesehen habe, auf die Ungerechtigkeit, weil ich jenes, das ich mir nun herbeigewünscht hatte erst einmal unwiederbringlich dort liegt, wo ich nicht hinkommen kann. Aus welchem Grund auch immer es mir nicht vergönnt ist, ich versuche mich langsam zu beruhigen. Es klappt nicht sehr gut.
Leider ist der Weg den ich nun gehen muss nicht umsonst unter dem Namen Pilgerautobahn bekannt. An einer Straße entlang führt eine Art Fahrstreifen für Pilger, der zur Straße hin abgesichert ist durch eine steinerne Mauer. Natürlich stimmt mich die Umgebung noch trauriger, denn der Camino-Duro soll im Gegensatz zu dieser Teerwüste, landschaftlich einmalig sein. Manchmal muss ich wohl eine Wegabzweigung gehen die ich nicht schön finde, aus Gründen die ich nicht verstehen kann, ohne dass ich etwas ändern kann.
Es dauert eine ganze Weile bis ich es langsam akzeptiere. So schön solche Lektionen klingen, so gut mir die Worte selbst gefallen, so schwer sind sie anzunehmen, so lange dauert es sie bis ins Herz zu verankern. Die Realität ist nicht immer Poesie. Insgeheim weiß ich schon jetzt, dass ich noch einmal den Weg gehen werde, das zu suchen, was ich jetzt noch liegen gelassen habe auf den Steinen. Der Camino-Duro gehört fest dazu.
Zum Ausgleich des Verlusts begegnet mir ein neues Tier. Immer wieder scheinen mir die unterschiedlichsten Lebewesen über den Weg zu laufen. Dieses Mal ist es eine Gottesanbeterin die auf der schmalen Grenzmauer zwischen Pilgern und Autos entlang stolziert. Sie ist wunderschön und ich ermutige sie sanft dazu die Mauer auf der Pilgerseite zu verlassen, so dass sie mit ihrer abschreckenden Schönheit noch andere faszinieren kann und nicht so schnell unter die Reifen kommt.
Die Abgrenzung zur Straße hat auch seine gute Seite. Auf das Gehen, auf den Weg, muss ich mich nicht konzentrieren und auch nicht darauf zu stolpern, denn Steine liegen hier nicht. Auch brauche ich nicht auf Schilder oder Pfeile zu achten. Jede Abzweigung, jede Kreuzung würde ich sehen, würde ich bemerken. So kann ich meine Gedanken treiben lassen. Auch das Gewicht meiner Enttäuschung über die Wegverfehlung.
Der Weg ist mein Fluss, ich treibe nur noch und alles andere zieht vorbei. Mein Blick weitet sich jeden Tag, ich sehe immer mehr und mehr von der Umgebung durch die ich treibe, wie
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