~900 Meine Reise auf dem spanischen Jakobsweg. (German Edition)
Variante. Die Strecke ist in der Tat wunderschön fürs Auge, dummerweise ist sie schwierig zu gehen. Feldwege führen auf und ab, hoch dann wieder runter, immer und immer wieder. Nur selten geht es einmal eben daher.
Am Wegesrand befinden sich viele Felder. Ich kann Eltern und deren Kindern dort arbeiten sehen, scheinbar eine private Ernte für den eigenen Bedarf. Einer der Spanier schenkt mir Trauben, frisch geschnitten von der Rebe. Er fragt mich sogar welche Sorte ich lieber mag, bevor er sich auf die Erde kniet und sie abschneidet. Sie schmecken sehr gut und frischer geht es wohl wirklich nicht. Meine Stimmung steigt umgehend.
Leider sinkt sie nach einer Trinkpause genauso schlagartig. Ich kann das linke Bein nicht mehr anheben. Dass ich nicht mehr richtig auftreten kann kenne ich ja schon, doch anheben?! Ich weiß nicht was los ist und humpele erst mal ein paar Schritte. Irgendein Muskel, eine Sehne oder was weiß ich, schmerzt dabei durch das ganze Bein hindurch. Jeder! Schritt! Schmerzt! Ich ändere die Gangart, gehe langsamer, belaste das Bein anders. Plötzlich geht es wieder. Die Probe zeigt: Nach jeder Pause das gleiche Spiel. Ich beschließe kurzerhand keine Pausen mehr zu machen, wenn es nicht unbedingt nötig ist.
Auch ohne Pausen wird es schwer, denn einmal mehr sehe ich die Stadt lange bevor ich auch nur in der Nähe bin. Ein seltsamer Typ verkauft mir eine kleine Muschel an einem Lederband, ich sehe es als kleine Spende an und kurz später nervt mich die Muschel am Stab so sehr, dass ich sie wieder abmache. Eigentlich reiße ich sie ab. Mein Knoten war zu gut und mein Messer ist irgendwo tief im Rucksack verschwunden.
Die letzten Meter vor der Herberge werden noch einmal richtig schwer. Es geht sehr steil nach oben.
Nachdem ich mich lange ausgeruht habe schlappe ich in meinen Flipflops sehr langsam zum Einkaufen, dann betrachte ich die Kathedrale und das Gaudi-Schloss. Als langzeitiger Fan der Kunst Anton Gaudis bin ich überrascht über diese simplen verspielten Schnörkel. Es ist wohl eins seiner frühen Werke, nur ein Hauch jenes wundervollen Wahnsinns umwallt es. Es ist mehr ein Märchenschloss, könnte gut auch in einem kitschigen Disney-Film abgebildet sein.
Zurück in der Herberge wechsle ich erst einmal das Zimmer weil mein Bett aus Versehen vergeben wurde. Ich bin recht verärgert. Doch ich habe Glück im Unglück und darf nun in einem 4er Zimmer übernachten, zusammen mit meiner kanadischen Lieblingsfamilie. Luise, die mich nicht heiraten kann, ihre Mutter und deren Lebensgefährte. Leider ist wohl ein Fest in der Stadt, so dass es trotz des 4er Zimmers laut wird. Eine Marschkapelle scheint besonders die Pilgerherberge zu mögen und zieht eins ums andere Mal vorbei mit Pauken und Trompeten, im wahrsten Sinne des Wortes.
14.09.08 22km nach Rabanal del Camino – Zeit zu feiern
Diesen Morgen starte ich mit meiner Lieblingsfamilie. Dank gespendeter Calcium-und Magnesiumtabletten geht es dem Bein wieder gut. Allerdings haben nun meine Füße eindeutig die Bezeichnung ‚blasenreich’ verdient. Ich beginne den Tag gerne mit Menschen die ich mag. Hier ist es so ungezwungen. Man geht zusammen wann immer man möchte, trennt sich wann immer es sinnvoll erscheint. Und niemand nimmt einem das eine oder andere übel.
Auch nachdem ich Luise-die-mich-immer-noch-nicht-heiraten-will und ihre Familie hinter mir lasse werden die Schmerzen nicht leichter. Normalerweise hören sie nach einer halben Stunde auf. Heute nicht. Zu lange habe ich sie wohl ignoriert.
Eine schier unermesslich große Gruppe Pilger geht vor mir und genervt allein von der Präsenz so vieler Menschen überhole ich sie, gönne mir darauf einen Kaffee, so dass ich sie noch einmal überholen muss. Das ungewöhnlichste Bild bieten dabei zwei Franziskanernonnen die in Astorga, also heute Morgen, gestartet sind. Wieder renne ich also an dem Pulk vorbei und grüße so freundlich wie ich eben kann. Keine Ahnung wieso, aber meine Stimmung ist heute schlecht. Nur bei jenen Personen, deren Gesichter ich schon kenne, gebe ich mir noch mehr Mühe freundlich zu sein. Es klappt nicht sonderlich gut. Ich schweige.
Der Weg führt leicht hinauf, manchmal wird es auch wieder steiniger und steiler … die Meseta ist jetzt endgültig zu Ende. Schon im Verlauf der letzten Tage haben sich mehr und mehr Bäume gezeigt. Dann kamen kleinere Hügel hinzu. Jetzt ist es endgültig: Die Meseta liegt hinter mir und damit wieder ein Stück
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