~900 Meine Reise auf dem spanischen Jakobsweg. (German Edition)
flüchten.
Als ich meinen Kopf wieder aus meinem kleinen Notizbuch hebe und ein wenig umhergehe, höre ich ein Klopfen an einer Tür. Sehr laut, sehr stürmisch. Jemand hat sich im Bad eingeschlossen und die Tür geht nicht mehr auf. Nachdem wir (die Person im Bad und ich) über die abstruse Situation gelacht haben begebe ich mich auf die Suche nach dem Hospitalero. Ich kann diesen nicht finden, treffe aber zufällig auf einen Herren der freiwilligen Feuerwehr, der ohne Probleme die Tür aufhebelt, gegen die ich vorher selbst mit Gewicht und Schwung nicht angekommen bin. Noch eine ganze Weile amüsieren wir uns über die Geschehnisse, besonders als sich herausstellt, dass es Luise-die-mich-nicht-heiraten-kann war, die ich mithilfe der Pilgerfeuerwehr befreit habe. Wieder einmal kann sie den Helden der Stunde, mich, natürlich nicht ehelichen, trotz der heroischen Rettung.
Später am Abend, als es Zeit fürs Essen wird, mache ich mich daran die Küche und die Einkäufe zu organisieren. Ich habe den beiden Kanadierinnen, Judith-Ann und Sabine, versprochen für sie etwas zu kochen und mich für Bratkartoffeln mit Eiern und Speck entschieden. Obwohl es ein Mahl für drei Personen werden soll ist es nicht einfach mit den vorhandenen, sehr kleinen, Küchengeräten, die große Menge zu kochen. Ich jongliere mit Pfannen, Töpfen, Gabeln und Löffeln, bis alles in einem großen Topf landet, noch einmal nachgewürzt, und dann endlich auf den Tisch gestellt wird. Geschafft. Und es schmeckt sogar ganz gut.
Gedanke 3: Es werden immer weniger Gesichter, die ich schon lange kenne. Zwar sehe ich, je weiter ich komme, immer öfter bekannte Gesichter die ich schon als verloren geglaubt habe, doch steigt auch so stetig die Wahrscheinlichkeit, dass andere für immer verschwinden und dann verblassen. Jene die in SJPDP gestartet sind werden immer seltener, nur ab und an treffe ich noch jemanden der dort losgelaufen ist, oft viele Tage vor oder viele Tage nach mir.
Und dann war da noch: Calletana, die Frau die sehr langsam geht und trotzdem immer zur gleichen Zeit da ist wie ich. Sie kommt immer an. Ein eigenes kleines Wunder.
13.09.08 32km nach Astorga – Überhohlmanöver
Der Morgen beginnt überraschend. Zum ersten Mal seit langer Zeit wache ich von meinem eigenen Wecker auf. Die Zimmer sind klein und deswegen leise. Alle außer mir schlafen noch. Gerade als ich beschließe noch ein wenig liegen zu bleiben regt sich erst der eine, dann die andere. Schlaftrunken folge ich dem stillen Aufruf. Ein kleines aber gutes Frühstück und auf geht es in Richtung eines ungewissen Ziels. 18 oder doch 32 Kilometer?
Draußen ist es kalt. Erstaunlich kalt! Gestern Abend hat es sich schon angekündigt, als ich draußen mein Tagebuch geschrieben habe und meine Füße gefroren haben. Zum ersten Mal ziehe ich meinen Pullover unter die Jacke an. Vielleicht liegt es daran, dass wir immer weiter nach Westen kommen, vielleicht auch weil es langsam aber sicher Herbst wird. Auch wenn Herbst in Spanien bedeutet, dass es immer noch mindestens 20° sind.
Bald werden meine Muskeln wärmer, die Bewegung tut gut. Auch die bekannten Beschwerden stellen sich wie gewohnt nach 2km ein. Nach vier Kilometern verschwindet jegliche Schwere aus den Beinen. Nur das Knie zieht ab und zu noch ein wenig. Wie gewohnt mir inzwischen doch dieser kleine Schmerz ist. Es geht besser und besser und bald überhole ich jene die weit vor mir gestartet sind.
Irgendwo folge ich einem alten Schild, das mich ein gutes Stück im Kreis führt. Jetzt sind jene die ich gerade überholt habe wieder vor mir uns so kann ich sie ein zweites Mal überholen.
Der Stopp in der ersten Bar zeigt mir, dass ich nicht so schnell bin wie ich gedacht habe. Nicht einmal fünf Kilometer die Stunde habe ich geschafft. Ob es wohl daran liegt, dass ich nüchtern bin? Über diesen Gedanken muss ich lachen, kann ich mich doch schlecht jede Nacht betrinken um am nächsten Morgen schnell am Ziel zu sein. Heute jedenfalls bin ich ausgeschlafen und brauche trotzdem nach neun Kilometern schon einen Kaffee um neue Kraft zu tanken. Danach überhole ich schon wieder die gleichen Personen wie vorhin. Sie haben keine Rast gemacht.
Ich lasse Santibanes, meine früheste Übernachtungsmöglichkeit hinter mir und stelle mich damit einem Tag mit über 30km. Auch als es kurz darauf darum geht zwischen zwei Alternativwegen zu wählen, gehe ich gerne und bestimmt die längere, dafür aber auch schönere
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