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interessieren, als sie nach einem Skiunfall in Sestriere an der Hotelbar den damals schon berühmten Rennfahrer Alberto Ascari kennenlernte, der sie von der Stelle weg als Beifahrerin für eine Rallye engagierte. Wie Thirion trat Annie Bousquet bei Rallyes und Rundstreckenrennen an. Beide Motorsportlerinnen interessierten sich wenig für die männlichen Erwartungen an sie, sondern schufen unbeeindruckt von ihrer männlichen Konkurrenz ihren eigenen Stil: beim Auftreten wie beim Fahren. Als müssten sie Simone de Beauvoirs zu dieser Zeit heftig diskutierte Thesen über die soziale und kulturelle Konstruktion der Frau kontrapunktisch ergänzen, dekonstruierten sie die Rolle der Frau wie des Rennfahrers gleichermaßen und fügten sie zu einem neuen Konstrukt zusammen. Diese Frauen weigerten sich, für Männer rechts ranzufahren, sich freiwillig überholen zu lassen oder gar auf einen Start zu verzichten. Sie bremsten auch für Männer. Mehr nicht. Wenn man nicht als Frau geboren wurde, sondern dazu gemacht wurde, dann war Widerstand Pflicht – und gerade auf dem Paradefeld patriarchaler Heroik von symbolischer Relevanz. Es ist die Zeit, als die junge Margaret Thatcher, obwohl schon bei den Tories engagiert, bei Abendessen in großbürgerlichen Villen als Frau aus dem Salon geschickt wird, wenn die Männer beginnen, sich über Politik zu unterhalten. Es ist der Anfang vom Ende der Alleinherrschaft der Männer.
Motorsport war zu dieser Zeit noch ein ziemlich tödliches Abenteuer. Annie Bousquet stellte mit ihrem 550 Spydereinen Geschwindigkeitsweltrekord auf und verunglückte beim Versuch, einen Stundenrekord dranzuhängen, durch einen geplatzten Reifen bei Tempo 230 Kilometer pro Stunde. Schon zwei Jahre zuvor hatte sie nach einem heftigen Rennunfall einen Monat im Krankenhaus gelegen. Ihr Mann Pierre war wenig später bei einem Autounfall tödlich verunglückt. Im Juni 1956 nahm sie am 12-Stunden-Rennen von Reims teil und entschied sich, vor dem Rennen nach Zuffenhausen zu fahren, um ihren heißgeliebten (flieder) blauen 550er richtig einstellen zu lassen. Direkt nach der Wartung stieg sie in den Wagen und fuhr zurück nach Reims. Als das Rennen startete, hatte sie eine, wenn nicht sogar zwei Nächte hintereinander nicht geschlafen. In der 17. Runde kam sie mit ihren linken Vorder- und Hinterreifen von der Strecke ab, der Spyder brach aus, überschlug sich und flog mit hoher Geschwindigkeit in die gemähten Getreidefelder. Annie Bousquet wurde aus dem Porsche gerissen und brach sich das Genick. Obwohl sie schnell ins Krankenhaus transportiert wurde, konnte dort nur noch ihr Tod festgestellt werden. Die Bilder des zertrümmerten Spyder mit der Nummer 32 zeigen, dass Bousquet wohl keine Chance hatte, diesen Unfall zu überleben. Das Wrack erinnert stark an den zerfetzten Wagen von James Dean, der ein Jahr zuvor im gleichen Porsche ums Leben gekommen war. Bousquets Freundin und Rivalin Gilberte Thirion beendete nach diesem Todesfall ihre Rennkarriere. Einige Beobachter vermuteten, dass Bousquet nach dem Unfalltod ihres Mannes – ziemlich romantisch – noch waghalsiger gefahren war als davor. Die ausschließlich männlichen Rennsportfunktionäre in Frankreich nutzten den Tod der Sportlerin, um danach Frauen ab sofort von allen großen Rennen in Frankreich auszuschließen. Erst 1971 wurde dieses Verbot aufgehoben.In der Außendarstellung der Firma Porsche wurde in Katalogen, auf Werbeplakaten und bei Messen ein biederes Rollenbild der Frau gepflegt. Frauen tauchten eher als Accessoire denn als Bändigerinnen der potenten Sportwagen und Männerträume auf. Nur in der Porsche-Zeitschrift »Christophorus« wurden Porsche-Amazonen ohne chauvinistische Untertöne vorgestellt. Schon auf dem ersten Cover 1952 wird eine sportliche, emanzipierte Frau gezeigt, die ihren Porsche abseits der Piste in den Schnee parkt, um sich die Skier anzuschnallen. Sie hat dunkle Haare, zu einem strengen Pferdeschwanz zurückgebunden, trägt einen bunt gestreiften Pullover, eine klassische Sonnenbrille und einen Lippenstift, der so rot ist wie die Ledersitze des Porsche. Sie hat nichts von jenem blonden fügsamen Mutterbild der Nazis und wenig von der funktionalen Kargheit der Trümmerfrauen. Diese Frau braucht keinen Mann, weder einen, der sie im Lift auf den Berg begleitet, noch einen, der ihr den steilen Weg ins Tal weist. Es ist kein Ehering zu sehen, keine Kinder, diese Frau hat sich ihren Porsche selbst gekauft und sie nutzt ihn, um die
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