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Aasgeier

Aasgeier

Titel: Aasgeier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
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daher auf chinesische Arbeitskräfte angewiesen war, weil niemand so Reis anbauen konnte wie sie, blieb ungesagt. Dass nach mehr als einem Jahrhundert nur noch knapp fünfzig Menschen im Flussdorf wohnten, die Mehrheit von ihnen steinalte chinesische Rentner, hat mir keiner klargemacht. Dazu muss man schon hin, und als ich am wackligen Pier anlegte und die kurze Treppe zum Deich hochstieg, schwante mir schon einiges.
    Die paar Straßenlampen beleuchteten pures Wildwest. Bewohnte und unbewohnte Ruinen, von der Sonne ausgebleichte Bretterbuden, die im schwachen Licht geisterhaft leuchteten, dazwischen das eine oder andere einigermaßen erhaltene, wellblechverkleidete zweistöckige Haus. Ganz kurz zweifelte ich an Gonzales´ Verstand.
     
    Das Hotel stand in einer Nebenstraße, um die Ecke vom Fluss. Ich stapfte vorsichtig über einen hölzernen Wildwestbürgersteig, der bei jedem Schritt knarzte, an Saloons und einem Gemischtwarenladen vorbei. Das schmalbrüstige, gelb angestrichene Hotel hieß sehr chinesisch Gold Mountain, der schmale Herr mit dem Schnauzer und dem gemeißelten Mayaprofil hieß José "Joe" Hernandez, wenn man dem Messingschild auf der Theke trauen konnte. Herr Hernandez freute sich, als ich mich vorstellte.
    „Señor Gonzales rief an – Ihr Zimmer steht für Sie bereit!“ meldete er zackig.
    „Bueno y gracias, Señor Hernandez. Ich werde mich mal gleich hinhauen, und vielleicht können Sie mir morgen früh ein paar Tipps geben, was man hier so anfangen kann und wo was los ist.“
    Er zog die Schultern bis an beide Ohren hoch. „Wird ein kurzes Gespräch“, meinte er. Nicht schlecht auf Draht, so kurz vor Mitternacht.
    Ich verabschiedete mich und ging die Treppe hoch zum kleinsten Hotelzimmer, das mir jemals untergekommen war.
     
    Was ich für nächtlich surrende Zimmerkolibris hielt, waren Moskitos. Ich hatte nicht gewusst, dass die so groß werden konnten. Ich hatte keine Ahnung, dass sich Moskitos im relativ hohen kalifornischen Norden so wohl fühlten. Dem Schmerz nach zapften sie pro Besuch ein Schnapsgläschen Blut ab. Ein Menschenschnapsgläschen, nicht ein Moskitoschnapsgläschen.
    Ich schlief also arg unruhig.
    Dafür saß eine ausgesprochen hübsche Frau am langen Tisch in der Mitte des Frühstückszimmers. Sie pellte ihr Frühstücksei, schaute auf, prüfte kurz, und nickte mir freundlich zu. Ich wünschte ihr begeistert einen guten Morgen, einen guten Appetit, und hoffte, dass sie wohl geruht habe. Auf Spanisch. Denn sie war ohne jeden Zweifel Latina. Und ich blitzartig über beide Ohren verliebt. Trotz Mückenstichen und Müdigkeit. Mein lieber Mann! Kurze pechschwarze Locken, rötlich braune Haut, darüber ein dunkelgrünes Kleid, das zu ihren Augen passte, ein schmaler Goldreif ums Handgelenk und entweder Sitzriesin oder wirklich groß, fast so groß wie ich, schätzte ich. Sowas von attraktiv! Ich guckte recht blöde, glaube ich, denn trotz leichten Errötens grinste sie breit und wandte sich wieder ihrem Frühstücksei zu.
    "Nehmen Sie Platz. Joe bringt das Frühstück." Sie sagte breakfast statt desayuno. El breakfast. Wie süß.
    Ich setzte mich ihr gegenüber und schaute ihr beim Essen zu, was sie vermutlich etwas enervierend fand. Aber irgendwie stand ich an dem Morgen neben mir, hatte nichts von meiner üblichen Weltgewandtheit drauf, sondern stierte nur stumm. Was mir selber peinlich wurde. Zum Glück trat der Manager vom vorigen Abend durch die Küchentür und hatte meine Kaffeekanne in der Hand.
    „Gut geschlafen?", wollte der Komiker wissen.
    „Besser als die Moskitos – die haben kein Auge zugetan.“
    „An die gewöhnt man sich. Stimmts, Marisol?“ Sie schaute nicht mal hoch, sondern nickte nur und futterte weiter.
     
    Die Rühreier schmeckten wie zu Hause, dank der Jalapeñoschnitten drin und der sauren Sahne drüber, der Kaffee war von feinster mexikanischer Sorte, und die süßen Kringel, mit denen das Mahl endete, waren wie aus der Bäckerei in Los Santos – weich, mehlig, mit einem Zuckerguss überzogen, den es in sämtlichen Pastellfarben gab. Zwischen Ei und Gebäck musste meine Tischgenossin zwar gehen, aber sie versprach, zum Abendessen wieder da zu sein. Verdammt, die war wirklich fast so groß wie ich. Groß gewachsene Frauen werden noch mein Untergang sein.
    „Ich arbeite in Sacramento, und um diese Zeit ist immer viel Verkehr auf dem Highway.“ Sowas Goldiges. Ich schwebte vor lauter Bewunderung.
    „Kann ich mir denken“, flötete der artige

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