Aasgeier
Observatory Kultstätte. Die will man nicht verschandeln. Zumal eine fünfzig Jahre zurückliegende Begebenheit in Los Angeles schon als historisch gilt. Damit muss man vorsichtig umgehen.
„Ich rufe Winston an, wenn´s dir recht ist", schlug Ignacio unvermittelt vor. Ich war verblüfft. Winston. An den hatte ich während dieser ganzen letzten Wochen nicht einmal gedacht. Klar. Drei Köpfe sind besser als zwei, um den Spruch zu aktualisieren.
Mein jamaikanischer Rastafreund Winston, der sich nicht nur bestens auskannte, sondern auch oft genug Abhilfe wusste. Und dabei kein bisschen zimperlich war.
13 Ras Winston
Ignacio versuchte wiederholt, Winston zu erreichen. Unser Rastafreund hatte zwischen sich und die Welt eine Serie Anrufbeantworter geschaltet, und der Franziskaner musste sich nun durch die Elektronik kämpfen. Was angesichts des jamaikanischen Telefonnetzes nicht ohne Tücken war. Die Verbindung brach gelegentlich knarzend und pfeifend ab, verschwand manchmal ohne Ankündigung lautlos im Bermudadreieck, ab und zu schaltete sich eine Stimme ein, die im Insel-Patois die neuesten Nachbarschaftsnachrichten brühwarm berichtete, yes I, Mon. Wem auch immer. Ein paar Mal erreichte er einen der Anrufbeantworter. Er wurde zunehmend ungeduldiger.
Wir hatten die Bergkette umfahren, saßen nun in Burbank an einem Picknicktisch im Park und ließen uns die smoggefilterte Spätnachmittagssonne auf den Pelz brennen. Hinter Ignacio bildeten die San Gabriel Mountains die Nordostwand des San Fernando Tales, hinter mir trennten die Hollywood Hills, in denen Griffith Park lag, Burbank von der Los Angeles Downtown. Die Warner Brothers Filmfabrik und das benachbarte Disneystudio belegten zu meiner Linken genügend teuren Grundbesitz um eine Provinzstadt darauf zu bauen, vor mir zog sich das Zentrum der amerikanischen Pornoindustrie bis über die Füße der San Gabriels. Die Berge waren kaum auszumachen, so herrlich gelbbraun war die Luft wieder. Hinter der hohen Drahtumzäunung des kleinen Parkes standen achtspurig die Autos auf dem 210 Freeway: Feierabendverkehr in Burbank. Um drei fängt´s an, um halb acht wird es wieder einigermaßen erträglich. Ich sehnte mich nach Los Santos, meinem Stranddorf in der Wüste Baja Californias.
„Ich glaube, ich probier´s noch einmal. Dann suchen wir uns eine Bleibe und machen morgen früh weiter.“ Er hatte die Schnauze voll.
Kaum hatte er gewählt, als er schon ins Telefon brüllte. Ignacio war einer der Menschen, die umso lauter schreien, je entfernter ihr Gesprächspartner ist. Jamaica war wohl volle Lautstärke wert.
„Ich habe unseren Freund hier. Wir müssen dringend mit dir sprechen.“ Statt Hallo und Wie geht´s.
Er horchte ein Weilchen, brüllte nur gelegentlich „klar“ oder „aha“, gab mir durch Mundwinkelstellung und Kopfbewegungen Zeichen, denen ich wohl entnehmen sollte dass er Gutes hörte oder mit dem Gehörten nicht einverstanden war, und beendete grußlos das Gespräch.
„Winston kommt morgen her. Wir treffen uns irgendwo in der Nähe. Hast du eine Ahnung, wo er verhaftet wurde?“
„Klar. Zwischen Mistys Ranch und Barstow. Kurz vor Barstow, auf der alten Route 66.“
„Da sollen wir hinfahren, und noch ein Stück weiter in die Stadt rein. Alles geradeaus, da komme nach ein paar Meilen ein Dennys Restaurant – du würdest es kennen, meint er. Da will er um vier morgen Nachmittag sein.“
Im Dennys. Gut so. Würde ich im Schlaf finden. Da ging mir noch jetzt die Muffe, wenn ich daran dachte, wie knapp ich dort dem mordlüsternen Indianer entging, dem Drogenbullen mit dem lockersitzenden Colt. Ich wäre ihm fast aufs Auto gefahren damals, als ich auf den Parkplatz bog und er unvermittelt rückwärts aus einer Parklücke sauste. Reiner Zufall, aber das Herz wäre mir fast stehen geblieben.
Ich sagte Ignacio, welcher Dennys. Den kannte er auch noch, von seiner Zeit als Bulle in Barstow.
Er guckte nostalgisch, also schlug ich vor, gleich nach Barstow hoch zu fahren und dort zu übernachten. Könnten wir morgen früh in aller Ruhe frühstücken, uns ein wenig umschauen und um sechzehn Uhr Winston treffen.
Viereinhalb Stunden dauerte die Fahrt, dank Feierabendverkehr doppelt so lange wie sonst. Für die vierzig Meilen von Burbank bis San Bernardino brauchten wir fast drei Stunden. Danach ging´s recht flott den Berg hoch und durch die Wüste, einen Kilometer überm Meeresspiegel, über der Ebene, auf der Los
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