Aasgeier
ich kurz „Aua!“ schrie, was meinen Sohn aufblicken ließ. Der erschrak nicht schlecht, als er sah, was Ignacio mit mir machte. „Lass meinen Papa!", brüllte er und kam angerannt.
Ich musste mit Engelszungen reden, bis er sich beruhigt hatte. Er ging wieder zu seinem Buch zurück, schaute aber dauernd zu uns hinüber.
Ignacio hatte sich wieder fest im Griff. Er senkte die Stimme. „Jon, begreife doch; wenn ich dir helfen soll, wenn überhaupt jemand dir und Ricky helfen soll, müssen wir uns alle über die möglichen Folgen im Klaren sein. Ohne das geht´s nicht. Denn jeder, der zu dir steht, handelt sich eine Menge Ärger ein.“
Ich schaute wohl etwas skeptisch, denn er beugte sich zu mir herüber und flüsterte fast „meinst du, dein Frauchen will nur bumsen? Denkst du, die hat dich nicht schon längst abgeschrieben? Wer sich mit solchen Typen einlässt, der ist entweder sehr dämlich oder sehr gewissenlos. Und Julie ist nicht dämlich.“
Ich brachte keinen Ton raus.
„Julie hat dich an die Tijuana-Mafia verkauft, mit Haut und Haaren. Ich nehme an, dass sie dafür einen Haufen Geld bekommt und irgendwo bunkert. Es gibt keine andere Erklärung, warum sie dich Knall und Fall sitzen ließ und sich mit dem Perez zusammentat. Das ganze Dorf wusste, dass der für die Solano Brothers arbeitet. Genau wie euer Kindermädchen, die Senora Juana Guadalupe Ramos und ihr Mann auch. Denkst du, der konnte seine sechs Kinder vom Fischfang ernähren?“
Ich war von den Socken. „Ja, hat der am Ende was mit dem Feuer zu tun?“
„Weiß ich nicht, aber euer Priester schließt es nicht aus. Ramos war noch im Hafen, als das Feuer ausbrach. Aber darum geht´s jetzt gar nicht. Ich will nur dass dir sonnenklar wird, dass du dich entscheiden musst. Entweder so hirnverbrannt wie bisher weitermachen, oder dich wirklich wehren und dein Leben wieder in die eigene Hand nehmen. Ich helfe dir gern, aber nur, solange du dich selbst ernsthaft bemühst.“
Kaum, dass ich gehört hatte, was er mir sagte. Ich hatte ein gewaltiges Kopfweh auf einmal, mir war schwindlig. Ich wusste nicht, was mit mir los war. Also stand ich auf, wackelte dabei ein wenig, und ging recht schnell in den Wald hinein.
Ich hörte, dass Ricky mir nachrief, aber ich winkte ab. Ich musste dringend allein sein.
22 Milton VanDeKamp
Ricky brüllte Zeter und Mordio. Das brachte mich wieder auf den Boden zurück. Ich saß unter einer Tanne, versuchte, Ordnung in das Kaleidoskop zwischen meinen Ohren zu bringen und hatte die Welt so ziemlich ausgeschaltet.
Er suchte mich, und Ignacio spazierte einige Meter hinter ihm, als Auffangnetz, falls sich der Kleine übernahm. Als er mich sah, hörte er sofort auf zu heulen und kam mit ausgestreckten Armen angerannt. Ich griff ihn und drückte ihn an mich. Erstaunlich, wie klein und zierlich er wirkte. Ich hielt ihn immer für robuster als er vermutlich war. Ein solch kleiner Junge braucht nun einmal rund um die Uhr Aufsicht, Beistand und Liebe. Ich weiß, dass ich ihn oft vernachlässigte.
Ignacio sah besorgt aus. Ich legte einen Arm um seine Schultern. „Hat geholfen. Danke.“
Er schien erleichtert. „Gut so. Dann können wir uns ja hinsetzen und positiv werden.“
„Können wir. Und wo?“
„Mir nach. Ich weiß genau, wo.“
Er fuhr im Käfer voraus, wir hinterher. Ich traute meinen Augen nicht, als er in die Einfahrt zur alten Morenoschen Drogenfabrik bog. Ich hupte, aber er winkte mich nur durchs Käfer-Rückfenster weiter.
Selten spüre ich mein Herz, aber als wir auf dem Parkplatz vorm Restaurant ausstiegen, fühlte ich, wie es pumpte. Meine Fingerspitzen kribbelten, die Knie – nicht lachen! – waren weich. Ich nahm Ricky auf den Arm, Ignacio schlug mir grinsend auf den Oberarm und wir gingen in die Kneipe. Ich war ja vor fünf Jahren oft in der Nähe der Morenoschen Zentrale, sah, wer herfuhr, wer wegfuhr, welch schicke Autos hier parkten und gut angezogene Bürger zum Essen kamen und nicht ahnten, dass im Stall des Anwesens gewaltige Mengen verbotener Drogen abgepackt und verteilt wurden. Aber ich hatte den Gasthof nie betreten. Als Ignacio vorging, war ich versucht, umzudrehen. Doch ich gab mir einen Ruck, setzte das obligatorische kalifornische Lächeln auf und trat ein.
Ein hübsches Restaurant hatte sich mein alter Schulkollege Milt ausgesucht, das musste der Neid ihm lassen. Viel dunkles Holz, Kupfer, Glas, Kerzen, Fässer. Sollte wohl französisch-ländlich
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