Aasgeier
festzuhalten. An Sohn und Geld. Was vorher undenkbar war.
Ich hatte die ersten neununddreißig Jahre meines Lebens ohne Plan und ohne Sinn verbracht. Surfen, Bier, Weiber, Rocken, Kiffen – in genau der Reihenfolge. Hatte sicher seinen Reiz, aber mit meiner jetzigen Einstellung war ich zufriedener. Das mit dem von meinen Konten geklauten Geld war zwar bedauerlich, aber irgendwas würde sich tun. Mithilfe meiner Freunde. Ich musste mich auch wieder aufraffen, endlich mal nicht reagieren, sondern aktiv werden, so wie damals. Ich konnte die Zügel nicht mehr schleifen lassen.
Ignacio war pünktlich, wie es sich für einen Polizisten und Gottesmann gehört. Ricky fand sein Habit umwerfend – die Kutte erinnerte ihn an den Dorfprälaten von San Felipe, den er furchtbar gern hatte, also übertrug er das Vertrauen sofort auf meinen Freund. Ich hatte Ignacio noch nie mit Kindern in Rickys Alter umgehen sehen; schließlich war er selbst nie Vater geworden. Aber er benahm sich so natürlich und herzlich, dass mir ein Stein vom Herzen fiel. Sohn und Freund waren sich sympathisch. Ricky hatte einen Beschützer gefunden.
Er hatte Brot, Käse, Gebäck und Getränke dabei, also breiteten wir im Wald eine Decke aus, setzten uns und machten Picknick. Für Ricky hatte er ein Bilderbuch mitgebracht – woher der Priester wusste, dass Sponge Bob angehimmelt wurde, bleibt mir ewig ein Rätsel -, mit dem sich Ricky hocherfreut zurückzog und kichernd die Bilder anschaute.
Die Sonne brannte aufs weite Gelände, auf das Tal, die Stadt und das Meer im Hintergrund. Der Tag war heiß; Kalifornien im Juli ist meist recht wohltemperiert, selbst hier an der Küste, selbst in dieser luftigen Höhe. Unter den Bäumen war es angenehm, zumal jetzt am Nachmittag eine leichte Brise vom Meer her kühlere, feuchte Luft brachte. Ich baute mir ein vegetarisches Sandwich.
„Was gibt´s?“ Er kam wenigstens gleich zur Sache.
„Ich muss jetzt klare Verhältnisse schaffen. Ich habe Ricky dabei, ich habe zu viel Verantwortung. Ich kann nicht mehr weglaufen.“
Ignacio nickte. Natürlich verstand er das. Er wäre sowieso nie gelaufen. Sein Typus steht und kämpft, bietet die Stirn, geht heldenhaft unter. Nichts für mich. Ich klemme den Schwanz zwischen die Beine, sozusagen, und suche die Einsamkeit. Und diese Unterhaltung hatten wir ja schon mal. Was er natürlich sofort einwendete.
„Hatten wir, ich weiß, und ich habe mich nicht dran gehalten. Ich habe die Schnauze wieder mal voll vom Suff – jetzt ist endgültig Sense mit der Sauferei, Ignacio. Garantiert. Weil ich nur immer Ärger habe, wenn ich trinke, und ich trinke immer, wenn ich Ärger habe“
Er winkte ab, mit einem Gesichtsausdruck, den ich bei ihm selten beobachtet habe. Ignacio war stocksauer. „Shut up. Halt´s Maul. Rede keine Scheiße – ich höre genügend Mist von meiner Kundschaft. Von Freunden erwarte ich Ehrlichkeit.“ Er war voll in Fahrt, und ich wollte natürlich besänftigen, aber er wurde barsch. „Dein Suff ist dein Problem. Logisch, dass er dich kaputtmacht. Aber du musst selbst davon loskommen. Deine jetzige Situation hat mit der Sauferei nichts zu tun – wenn die dich umlegen wollen, tun sie´s ob du nüchtern bist oder voll. Also höre auf damit. Da werde ich nur wütend, wenn ich so einen Mist hören muss.“
Ich machte mich klein.
„Du musst wissen, wer dir ans Leder will. Dazu musst du wissen, wer dein Geld hat. Erst das eine führt zum anderen. Dann musst du wissen, was deine Frau will. Dazu musst du sie anrufen, mit ihr sprechen. Alles andere ist Spekulation und führt zu nichts. Du brauchst Sicherheit, während du dich darum kümmerst. Hier in der Gegend wirst du gefunden, auf deinem Schiff bist du nicht sicher, und der Kleine ist ein Klotz am Bein – wie willst du schnell verschwinden, wie willst du dich wehren, wenn dein Junge dabei ist? Ihr seid beide in größter Gefahr, wenn du ihn bei dir behältst.“ Was schon mal ein Riesenschlag war. Ich sträubte mich, aber vermutlich hatte er recht.
„Du brauchst Ordnung in deinem Leben,“ kam er mir mit Phrasen. „Du bekommst nie einen Überblick, wenn alles durcheinander ist. Und da kann ich dir helfen.“
„Ja, aber...“
„Nix aber. Du hast immer Einwände, hast immer was zu motzen. Typisch Säufer. Sei dir selbst gegenüber doch mal ehrlich; kannst du so weitermachen wie bisher?“
„Natürlich nicht. Aber ...“
Das lief bei ihm nicht. Er packte mich so kräftig am Arm, dass
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