Aasgeier
noch Telefongebühren aufhalsen.
Und wie sie sich freute! Meine Marisol, so schön, sie zu hören. „Ich habe mich jeden Tag nach dir gesehnt.“
„Und ich mich erst nach dir! Wie tat mir unser Streit leid – jeden Tag habe ich darüber nachdenken müssen, auf dem Weg zur Arbeit und wieder hierher zurück. Tut mir ja so leid, dass ich bitchy war.“ Bitchy ist der Fachausdruck für nörgelnd veranlagte, keifende, rechthaberische Frauen. Dass sich jemand selbst so bezeichnet, zeigt an, dass sie ihr Verhalten wirklich bedauert. Ich musste grinsen. Gottseidank sah sie´s nicht.
Wir plauderten ein Viertelstündchen über alles mögliche, was natürlich den Sex beinhaltete. Seit einigen Wochen stand ich trocken, prüfte täglich die Ohren, ob schon was raustropft, und ihr schien es ähnlich zu gehen. Ich bin ja kein Freund des Telefon-Sex, aber ich muss sagen, dass unser Telefonat dem herkömmlichen Sex, dem mit zwei im gleichen Raum befindlichen Personen, doch sehr nahe kam.
Sie wollte uns unbedingt besuchen, wenn auch nur für ein paar Tage. Ich wollte mich nicht verzetteln, trotz meines Sexualnotstandes. Also trennten wir uns befriedigt, aber unbefriedigt. Meine Mutter schien auch einen unwilligen Herrn am Telefon gehabt zu haben, denn sie antwortete unwirsch, als sie den Hörer abnahm, und blieb bei ihrer Patzigkeit. Nein, sie wolle jetzt nicht überstürzt irgendwohin reisen, nein, sie würde nicht mit mir tauschen, nein, sie liebe zwar den kleinen Ricky, aber sie brauche jetzt mal eine Weile Ruhe.
Das war das dann wohl. Ich rief Marisol wieder an und fragte sie, ob ich Ricky bei ihr lassen könne. Ihre Antwort haute mich um; ich hatte die Frage trotz der sicher zu erwarteten Absage gestellt und sie sagte sofort zu. Ohne Bedenkzeit, ohne zu fragen. Einfach „natürlich.“ Einfach so.
Ich rief Ignacio an und bat ihn, unser Treffen auf den Montag zu verlegen. Kein Problem, meinte er, und er würde selber mal mit Marisol sprechen, um ihr zu danken. Sei immerhin sehr christlich, ihre Bereitschaft, sich um ihren Nächsten zu kümmern.
Ich machte mir einen Riesenteller Nachos, trank eine Kanne Tee dazu und schaute mir die tausendste Wiederholung einer Al-Bundy-Sendung an. Selbst nach fünfundzwanzig Jahren ist die Schrecklich Nette Familie eine Spitzenleistung; Married With Children heißt sie ja im Original, und das Schicksal des vom Leben getretenen Al, seiner geilen Vorstadtgattin Peggy und den beiden Katastrophenkindern ist der Realität abgeschaut. Ich kannte einige verheirateten Paare mit Kindern zwischen Mississippi und Pazifikküste, die in ähnlichen Umständen alt wurden. Weit hergeholt ist nur Als immergute Stichellaune; ein echter Schuhverkäufer mit Bundyschen Lebensaussichten hätte sich schon längst an einem Nylonstrumpf im Schaufenster erhängt.
Wir hatten verabredet, uns am Sonnabend im Truck Stop bei Hollister zu treffen. Ich kannte den Laden, wusste, dass er Ricky gefallen würde und hoffte auf ein paar Quickies im angeschlossenen Motel, die meinen Sohn nicht traumatisieren würden. Ich grübelte, wie das anzustellen wäre.
Wir fuhren am Sonnabend morgen los, Richtung Norden, Ricky freute sich den ganzen Weg dorthin auf die Büffel, die Eisenbahn und das Kinderkino, das er ganz allein besuchen durfte. Er war nur wenige Male im Kino gewesen, denn in unserem mexikanischen Stranddorf hatten wir keines, und meine Mutter, die ihm das Erlebnis erstmals ermöglichte, schlief im Kino immer ein, was die Aufsicht über einen winzigen Knaben erheblich erschwerte.
Er war von den Socken, als er unser Ziel sah. Bunte Dächer, windschiefes Wildwestdorf, durch dessen Main Street ein Rehbock humpelte. Kamele spazierten an den Tanksäulen vorbei und die Tankwarte waren als Comicfiguren gekleidet. Daneben stand ein Restaurant mit einer riesigen Eiswaffel auf dem Dach. Elefanten streckten ihre Rüssel über einen Gartenzaun und eine Zahnradbahn kletterte von einem nachempfundenen Mini-Matterhorn herab. Casa de Promesas hieß die Anlage, Haus der Versprechungen, was sich als gut gewählter Name herausstellte.
Von außen sah alles vielversprechend aus; innen waren sämtliche Fantasiehäuser ganz hundsgewöhnliche Läden. Wir stiegen in der Casa de Dormir ab und schliefen wirklich fast ein ob der Ideenlosigkeit der Zimmerdekoration. Marisol war noch nicht eingetroffen, also gingen wir hinüber zum Eiswaffelrestaurant (Casa de Sorpresas) und wurden wirklich überrascht; einmal davon, wie sehr die
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