Ab 1000 Meter wird geduzt!: Aus dem abgefahrenen Leben eines Skilehrers (German Edition)
kurze Unterbrechung, nichts weiter … Der Skikurs konnte fortgesetzt werden – gute Laune, ein paar Witze, Einkehrschwung mit Ziehharmonika. Nach außen ließ ich mir nichts anmerken, aber in Gedanken beschäftigte mich so ein Unfall natürlich ein wenig länger. Hatte ich womöglich mit eigenen Augen einen Menschen in den Tod rasen sehen? War ich zu spät gekommen?
Am selben Abend erfuhr ich, dass es sich bei dem Verunglückten um einen Schweden handelte, er hatte überlebt und konnte schon bald das Krankenhaus wieder verlassen, dank meines kühnen Absprunges aus dem Sessellift.
Mitten aus dem Leben gerissen
Als Skischulleiter war ich natürlich viel mehr in organisatorische Strukturen eingebunden, und der Verantwortungsbereich dehnte sich aus. Ich war Ortsvorsteher vom Skiclub Arlberg in Stuben und erhielt in 50 Jahren sämtliche Ehrungen, sogar das goldene R (für Rennläufer). Meine letzte Ehrung, das goldene Förderabzeichen, bekam ich für besondere Verdienste sowie eine Auszeichnung für 50 Jahre Mitgliedschaft. Doch all die Auszeichnungen können die menschlichen Tragödien natürlich nicht wettmachen. Selbst wenn man nicht unmittelbar am Geschehen beteiligt oder am Unglücksort dabei ist, beschäftigen einen die tragischen Geschichten, die am Berg leider immer wieder passieren. In unserem kleinen Dorf kennt jeder jeden, die Gäste treffen sich in den Hütten oder im »Pilsstüble«, da geht es einem zu Herzen, wenn man gerade noch zusammen ein Bier getrunken hat und nur Stunden später erfährt, dass derjenige ums Leben gekommen ist.
Freud und Leid liegen nah beieinander, und auch an mir gehen diese tragischen Geschichten nicht spurlos vorüber.
Zur Mittagszeit hatten sich viele Gäste in unserem »Pilsstüble« versammelt, kein Tisch war mehr frei. Überall klapperte das Besteck, Gläser klirrten, Skierlebnisse wurden ausgetauscht, und auch meine Privatgäste hatten nach mehreren Abfahrten mächtig Hunger und langten kräftig zu. Am Nebentisch saß Thomas, ein Skilehrer aus St. Anton mit seinen Gästen, Vater und Sohn aus Amerika. Der junge Mann hatte in jenem Jahr seinen Universitätsabschluss bestanden, und dieser Urlaub war ein Geschenk des Vaters gewesen. Wir gratulierten und stießen auf seine Zukunft an. Nach dem obligatorischen Verdauungsschnaps drängten nach und nach alle zum Aufbruch, denn es lag noch ein schöner Nachmittag vor uns. Thomas wollte mit seinen Gästen hoch auf die Albona und durch das Maroital nach St. Anton abfahren. Ich fuhr mit meinen Leuten ebenfalls im Albona-Gebiet.
Nur kurze Zeit später hörte ich von einem Drama, das sich dort oben ereignet hatte. Über Funk informierte mich mein Sohn Willi, dass am Maroikopfgrat eine Lawine Richtung Sonnleitenlift abgegangen war und einige Leute verschüttet seien. Sofort fuhr ich mit meinen Privatgästen zur Unfallstelle ab. Thomas war mit seiner Gruppe rechts des Sonnleitenliftes in den Hang eingefahren. Dadurch hatte sich ein Schneebrett gelöst und die drei mitgerissen. Sofort begannen wir mit der Suche und konnten zwei lebend aus den Schneemassen befreien. Aber der Dritte, der 24-jährige Amerikaner, fehlte noch. Mit Hilfe des Lawinenpiepsers fanden wir auch ihn ziemlich schnell – aber dennoch leider zu spät. Die gewaltige Kraft der Lawine und ein verhängnisvoller Sturz hatte ihm das Genick gebrochen.
Ich kannte den jungen Mann nicht persönlich, ich hatte ihn nur kurz zuvor beim Mittagessen getroffen, dennoch ging ich nach einem solchen Erlebnis nicht einfach zur Tagesordnung über. Wir hatten auf seine Zukunft angestoßen! »Du hast das ganze Leben noch vor dir!« Der Satz dröhnte in meinen Ohren. Aber als Skilehrer und Wirt einer In-Kneipe durfte ich nicht Trübsal blasen. Von diesen Momenten gab es viele, und einige gingen mir besonders zu Herzen:
Wenn Wege sich trennen
Viele Jahre lang kamen Monika und ihr Mann Gustav mit Tochter Conny jeden Tag zum Mittagessen in unser Stüble. Sie hatten ihr Urlaubsquartier auf dem Campingplatz in Dalaas, aber ihr Mittagessen genossen sie bei uns, was jedes Mal sehr viel Spaß machte, denn die drei waren fröhlich und aufgeschlossen. Monika, eine Deutsche, und ihr Ehemann nebst Tochter Conny verbrachten jedes Jahr die Weihnachtsferien im schönen Klostertal. Monika und Conny waren begeisterte Wintersportler, Gustav fuhr kein Ski, aber er wartete immer unten im Tal auf seine beiden Mädchen.
Auch an jenem schicksalhaften Silvestertag traf ich Monika und Conny mittags im Lokal.
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