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Ab 1000 Meter wird geduzt!: Aus dem abgefahrenen Leben eines Skilehrers (German Edition)

Ab 1000 Meter wird geduzt!: Aus dem abgefahrenen Leben eines Skilehrers (German Edition)

Titel: Ab 1000 Meter wird geduzt!: Aus dem abgefahrenen Leben eines Skilehrers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Mathies
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konnte ich mit meinen Skiern direkt auf den Lawinenkegel abfahren.
    Der Freund des Studenten hatte Glück gehabt, er blieb unverletzt, doch von seinem waghalsigen Kumpel fehlte jede Spur. Als ich ankam, waren die Bergrettung und meine Skilehrer-Kollegen bereits dabei, das Gebiet mit Sonden abzusuchen. Ich übernahm, wie es als Skischulleiter üblich ist, die Koordination der ganzen Aktion.
    Die Feinsondierung gleicht einer einstudierten Choreografie: Der Suchtrupp schreitet in einer Reihe (Mann an Mann) vor und sticht in den Schnee: linke Fußspitze, rechte Fußspitze, Mitte, dann geht’s eine Schuhlänge vor, und wieder linke Fußspitze, rechte Fußspitze, Mitte, eine Schuhlänge vor. So arbeitete sich die Gruppe Stück für Stück vor.
    Die anderen Skilehrer und ich schnappten sich ebenfalls Sonden, aber ich entschied mich für die eher unkonventionelle Grundsondierung, steckte den Stab vollkommen willkürlich in den Schnee, mal hier, mal dort. Nach zehn Minuten stieß ich auf etwas Weiches und forderte die Männer mit den Schaufeln auf nachzuschauen. In kürzester Zeit war der Bursche freigelegt, er lag ungefähr einen Meter unter der Schneedecke, war bewusstlos und musste reanimiert werden. Während er sofort mit dem Helikopter ins Spital geflogen wurde, wo die Ärzte um sein Leben kämpften, hofften wir nun, auch die dritte vermisste Person, eine Frau, zu finden. Doch weder mittels Grund- noch Feinsondierung machten wir sie ausfindig. Wir erweiterten den Radius, denn das Schneebrett war mit einer gewaltigen Wucht über die Piste gefegt und war zum Teil bis zu zwei Meter hoch. Die Frau konnte ziemlich weit nach unten geschleudert worden sein. Und so war es auch: Für sie, die im Bachbett der Alfenz, dem Hauptfluss des Klostertals, zwei Meter tief unter dem Schnee begraben lag, kam jede Rettung zu spät.
    Der junge Mann, der die Lawine mit ausgelöst hatte, erlitt schwere Herz- und Lungenquetschungen, aber er überlebte. Und nur vier Jahre später fuhr er seinen ersten Weltcup … Persönlich habe ich diesen berühmten und erfolgreichen Skirennfahrer nie kennengelernt, aber seine Eltern schrieben mir viele Jahre Postkarten und überreichten mir Geschenke zum Dank, dass ich ihrem Sohn das Leben gerettet hatte. Doch als Held wollte ich mich nie feiern lassen, schließlich ist ein Lebemann auch dazu da, Leben zu retten. Es würde mir jedoch eine große Freude bereiten, wenn sich nach all den Jahren mal ein persönlicher Kontakt ergeben würde.
    Ein Sprung zu viel
    Auch am eigenen Leib habe ich schon erfahren müssen, wie das ist, wenn die weiße Pracht über einen hereinbricht. Ich fuhr damals mit meinen langjährigen Privatgästen, Eugen, Horst und Klaus, alles erfahrene versierte Skifahrer, die sich auch im Gelände gut auskannten. An jenem Tag waren die Schneeverhältnisse super, es hatte über Nacht einen halben Meter Neuschnee gegeben. Ideale Voraussetzungen, bei denen ich gleich ein paar neue Skier, die ich mir ausgeliehen hatte, ausprobierte.
    Gegen Nachmittag wurden wir von plötzlich heraufziehendem Nebel überrascht. Ich sorgte mich nicht, schließlich hatte ich gute Fahrer dabei, wir würden auch im Blindflug ins Tal finden. Doch das meteorologische Phänomen eines »Whiteout« darf man auf keinen Fall unterschätzen: Wird das Sonnenlicht durch dichten Nebel gedämpft, geht jeglicher Kontrast verloren. Himmel und Erde werden eins, und man hat das Gefühl, als bewege man sich in einem großen leeren grauen Raum. Bei manchen Menschen löst die Orientierungslosigkeit Beklemmungen aus, deshalb sollte eine Skigruppe bei einem »Whiteout« möglichst langsam fahren und immer eng zusammenbleiben, damit niemand verloren geht.
    Ich hätte besser auf meinen eigenen Ratschlag hören sollen. Stattdessen ließ ich mich nicht beirren und fuhr mit meinen Gästen von der Albona-Bergstation links zum Sonnleitenlift im Tiefschnee ab, und sie folgten mir in kurzen Schwüngen. Dieses Gelände war mir bestens bekannt, und ich wusste, dass sich bei so viel Neuschnee in diesem Hang gerne eine Wechte bildet. Es gab keine Konturen, alles war in ein diffuses Licht getaucht. Nun galt es die richtige Spur anzulegen und nicht abzudriften, was in diesem »Whiteout« gar nicht so einfach war.
    Und so fuhr ich, ohne es zu merken natürlich, Stück für Stück immer weiter nach links auf die Kante zu, an der sich durch starke Schneeverwehungen tatsächlich eine Wechte gebildet hatte. Wechten sind extrem tückisch, weil sie brechen

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