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Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Titel: Abaddons Tor: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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man nicht grandios scheitern wollte. Nun stellte sich heraus, dass Miller nicht das einzige Gespenst war, das Holden heimsuchte.
    Jetzt war auch noch Julie Mao mit im Spiel.
    Während Miller Holden durch das Sonnensystem gefolgt war, hatte das Protomolekül irgendwie Julie Mao benutzt und seine eigenen geheimen Pläne verfolgt. Julie hatte die Klage der Marsianer in Gang gebracht und ihm die sicheren Anlaufstellen und die Auftraggeber geraubt. Sie hatte eine Dokumentarfilmcrew auf sein Schiff gelotst und ihn zum Ring geschickt. Jetzt schien es, als hätte sie obendrein ein kompliziertes Betrugsmanöver inszeniert, um ihn zu zwingen, tatsächlich durch den Ring zu fliegen, wenn er weiterleben wollte. Das Gespenst Julie war Miller überhaupt nicht ähnlich. Sie ging sehr zielstrebig vor, sie hatte Zugriff auf Geld und verfügte über Einfluss und Beziehungen. Die einzige Gemeinsamkeit mit Miller war die Tatsache, dass es auch dieses Gespenst auf ihn abgesehen hatte. Und wenn das alles zutraf, dann hatte es bei alledem nur ein einziges Ziel gegeben.
    Es war ihr die ganze Zeit darum gegangen, ihn hierherzubringen und ihn zu zwingen, durch den Ring zu fliegen.
    Ein Schauder lief ihm über den Rücken, sämtliche Haare auf den Armen und im Nacken richteten sich auf. Er aktivierte das nächste Pult und rief die externen Teleskope auf. In dieser sternenlosen Leere gab es nichts außer einer Menge inaktiver Ringe und der riesigen blauen Kugel im Zentrum. Die Rakete, die ihnen durch das Tor gefolgt war, kam gerade ins Sichtfeld und gesellte sich zu dem langsam kreisenden Treibgut, das die Station umgab.
    Früher oder später kommt alles zu mir, schien die Station zu sagen.
    »Ich muss da hin«, sagte er laut, kaum dass ihm der Gedanke gekommen war.
    »Wohin?« Naomi blickte von ihrer Arbeit am Com auf. Die Erleichterung, die er in ihrer Miene bemerkte, da er nun endlich etwas gesagt hatte, würde rasch verfliegen. Er hatte jetzt schon Schuldgefühle.
    »Zur Station. Oder was es auch ist. Ich muss da hin.«
    »Nein, musst du nicht«, widersprach sie.
    »Alles, was im letzten Jahr geschehen ist, diente nur dazu, mich hierher zu lotsen.« Holden rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht, schloss dabei die Augen und entzog sich Naomis forschendem Blick. »Das Ding ist das einzig Brauchbare, was es hier gibt. Sonst ist einfach nichts da. Keine anderen offenen Tore, keine Planeten, keine Raumschiffe. Nichts.«
    »Jim«, warnte Naomi ihn. »Dieser Drang, immer der Mann sein zu müssen, der …«
    »Ich werde erst erfahren, warum das Protomolekül mit mir redet, wenn ich dorthin fliege und ihm von Angesicht zu Angesicht begegne.«
    »Eros, Ganymed, die Agatha King «, zählte Naomi auf. »Du denkst immer, du müsstest da hin.«
    Holden nahm die Hände vom Gesicht und blickte sie an. Sie starrte zurück, zugleich schön, zornig und traurig. Ihm wurde die Kehle eng. »Liege ich denn falsch? Sag mir, dass ich mich irre, und wir denken uns etwas anderes aus. Sag mir, dass all dies etwas ganz anderes bedeutet, das ich einfach übersehen habe.«
    »Nein«, wiederholte sie, meinte dieses Mal aber etwas anderes.
    »Na gut.« Er seufzte. »Also gut.«
    »Es geht mir auf die Nerven, immer zurückzubleiben und zu warten.«
    »Du bleibst nicht zurück«, entgegnete er. »Du hältst die Crew am Leben, während ich etwas wirklich Dummes mache. Deshalb sind wir ein so umwerfendes Team. Du bist jetzt Kapitän.«
    »Du weißt ganz genau, was für ein Scheißjob das ist.«

21    Bull
    In den letzten Stunden, bevor sie durch den Ring flogen, legte sich eine seltsame Ruhe über die Behemoth. In den Fluren und Korridoren redeten die Menschen miteinander, doch die Stimmen klangen leise und spröde. Die unabhängigen Feeds, die immer ein Problem darstellten, waren weitgehend verstummt. Am Tresen der Wache gingen kaum noch Beschwerden ein. Bull behielt die Stellen im Auge, wo die Leute Schnaps trinken und Dummheiten machen konnten, aber es gab keinen Krawall. Der Funkverkehr, der über Laser mit der Tycho-Station und allen näher an der Sonne liegenden Empfangsstellen abgewickelt wurde, erreichte gegenüber dem Normalzustand die sechsfache Bandbreite. Viele Menschen auf dem Schiff wollten mit jemandem sprechen – mit einem Kind, einer Schwester, einem Dad, einem Geliebten –, ehe die Nähe des Rings die Signale verzerrte und sie in das eindrangen, was sich auf der anderen Seite befand.
    Bull hatte darüber nachgedacht, ihrem Beispiel zu folgen.

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