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Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Titel: Abaddons Tor: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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Zum ersten Mal seit Monaten hatte er sich in den Familienfeed eingeklinkt und die unbedeutenden Neuigkeiten der Bacas über sich ergehen lassen. Eine Cousine war verlobt, eine andere lebte in Scheidung, die Nachrichten und Lebensweisheiten gingen hin und her. Seine Tante auf der Erde hatte Ärger mit der Hüfte, aber da sie von der Stütze lebte, stand sie auf einer Liste und musste warten, ehe sie den Arzt aufsuchen konnte. Sein Bruder teilte ihm mit, dass er einen Job auf Luna gefunden hatte, verriet aber nicht, was er dort tat und für wen er arbeitete. Bull hörte sich die Stimmen der Verwandten an, die er abgesehen vom Bildschirm niemals zu sehen bekam, und gewann Einblicke in Lebenswege, die niemals den seinen kreuzten. Es überraschte ihn, wie viel Liebe er für sie empfand, und er hatte Hemmungen, seine eigenen Erlebnisse zu schildern. Damit würde er sie nur ängstigen, und sie würden es nicht verstehen. Er hörte schon, wie seine Cousins ihm rieten, das Schiff zu verlassen und sich einer Einheit anzuschließen, die nicht durch den Ring fliegen würde. Wenn ihre Warnungen eintrafen, war er längst weg.
    So beschränkte er sich darauf, ein persönliches Video für Fred Johnson aufzuzeichnen, in dem er lediglich sagte: »Nach alledem hier sind Sie mir was schuldig.«
    Eine Stunde vor dem Durchgang versetzte Bull das ganze Schiff in Kampfbereitschaft. Alle mussten sich auf die Druckliegen schnallen, eine Liege pro Person. Die Liegen wurden nicht geteilt. Alles Werkzeug und die persönlichen Habseligkeiten mussten gesichert werden, alle Karren wurden auf den Wachen verankert und verzurrt, die Schotten zwischen den wichtigsten Sektionen wurden gesperrt, damit sie im Notfall nur auf einem einzigen Deck Druck verloren. Er bekam ein paar Beschwerden herein, die aber im Grunde nur leere Nörgeleien waren.
    Langsam krochen sie dahin, der Schub erzeugte eine Schwerkraft, die alles höchst gemächlich zum Boden treiben ließ. Bull wusste nicht, ob dies eine technische Entscheidung war, die Sam getroffen hatte, damit sie ja nicht zu schnell in den Bereich mit der Geschwindigkeitsbeschränkung hineinflogen, oder ob Ashford Erde und Mars Zeit geben wollte, sie einzuholen, damit sie alle mehr oder weniger im gleichen Moment durchflogen. Allerdings hätte die zweite Variante Ashford überhaupt nicht entsprochen. Diplomatische Feinheiten waren eher Pas Sache.
    Wahrscheinlich lag es daran, dass der Hauptantrieb mit so geringer Leistung gar nicht arbeiten konnte, und dies war eben die höchste Geschwindigkeit, mit der die Steuerdüsen sie antreiben konnten.
    Über die irdischen Streitkräfte machte Bull sich keine großen Sorgen. Sie hatten die Abmachung ausgehandelt, und sie hatten Zivilisten an Bord. Mars dagegen mochte seinen Verband als wissenschaftliche Mission bezeichnen, doch die Eskorte hatte einen eindeutig militärischen Charakter, und bevor die Erde eingeschritten war, hatten die Marsianer geradezu darauf gebrannt, Löcher in die Behemoth zu schießen, bis deren Luftvorräte erschöpft waren.
    Zu viele Leute mit zu vielen Vorstellungen, und jeder machte sich Sorgen, die anderen könnten ihm in den Rücken fallen. Dies war die dümmste, die gefährlichste und nach Bulls Ansicht die menschlichste Art und Weise, den göttergleichen Außerirdischen zu begegnen, die das Protomolekül erschaffen hatten, was auch immer sie tatsächlich waren.
    Der Flug dauerte eine ganze Weile, die riesige Behemoth benötigte mehrere Sekunden, um den Ring zu passieren. Ein gespenstisches Stöhnen lief durch das ganze Schiff. Bull wartete auf seiner Druckliege in der Wache mit einer Gänsehaut auf den Armen und im Nacken auf die nächste Katastrophe. Er blätterte die Überwachungsfeeds durch wie ein Vater, der durch das Haus lief, um sich zu vergewissern, dass alle Fenster verschlossen waren und die Kinder wohlbehalten im Bett lagen. Erinnerungen an den Feed von Eros erwachten – verschlungene schwarze Ranken in den Gängen, die toten Unschuldigen und Schuldigen verformten sich ohne Unterschied, lösten sich auf und verwandelten sich in etwas anderes, ohne endgültig zu sterben. Die blauen Glühwürmchen, die noch niemand hatte erklären können. Bei jedem neuen Bild erwartete er, in der Behemoth das gleiche Leuchten zu erkennen, und jedes Mal, wenn er nichts bemerkte, verlagerte sich seine Furcht auf die Bilder, die noch kommen würden.
    Er schaltete auf die externen Sensoren um und betrachtete das leuchtende blaue Objekt im Zentrum der

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