Abaddons Tor: Roman (German Edition)
Mann überhaupt nicht verdächtigt. Angesichts seiner Vorurteile fühlte er sich zugleich verraten und beschämt.
»Man hat mich bezahlt, um das Ding auf das Schiff zu pflanzen«, sagte Cohen. Er löste sich aus dem Kreis der Verteidiger und schwebte einen halben Meter näher an Holden heran. Damit setzte er sich von der Gruppe ab und sorgte dafür, dass ihnen nichts zustieß, falls etwas Unschönes geschah. Holden empfand ein wenig Achtung für ihn. »Ich habe keine Ahnung, was das Ding tun sollte. Ich dachte, jemand wollte Ihre Kommunikation überwachen, weiter nichts. Als die Sendung begann und die Raketen losgeflogen sind, war ich ebenso überrascht wie Sie. Und mein Arsch war ebenso in Gefahr wie Ihrer.«
»Wichser«, sagte Amos noch einmal, wenngleich nicht mehr ganz so hitzig wie zuvor. Holden kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass ein wütender nicht annähernd so gefährlich war wie ein eiskalter Amos. »Bisher dachte ich, es fiele mir schwer, einen Blinden rauszuschmeißen, aber ich glaube, das macht mir jetzt nichts mehr aus.«
»Noch nicht.« Holden hielt Amos zurück. »Wer hat Sie dafür bezahlt? Wenn Sie mich anlügen, lasse ich Amos freie Hand.«
Cohen gab auf und hob beide Hände. »He, Sie haben mich erwischt, Boss. Mir ist klar, dass mein Leben am seidenen Faden hängt. Ich habe keinen Grund, Sie anzulügen.«
»Dann spucken Sie’s aus.«
»Ich bin ihr nur ein einziges Mal begegnet«, berichtete Cohen. »Eine junge Frau, angenehme Stimme. Hatte einen Haufen Geld. Sie bat mich, das Ding einzubauen. Ich sagte: ›Klar. Schaffen Sie mich auf das Schiff, und ich pflanze dort alle Wanzen, die Sie unterbringen wollen.‹ Auf einmal bekam Monica den Auftrag, einen Dokumentarfilm über Sie und den Ring zu drehen. Verdammt will ich sein, wenn ich weiß, wie sie das geschafft hat.«
»Mistkerl.« Monica war von dieser Enthüllung offenbar ebenso überrascht wie alle anderen. Holden fühlte sich ein wenig besser.
»Wer war die junge Frau mit dem vielen Geld?«, fragte Holden. Amos hatte sich nicht gerührt, zielte jedoch mit der Pistole nicht mehr auf bestimmte Personen. Cohens Antworten klangen ehrlich. Er verhielt sich wie ein Mann, der genau wusste, was ihm blühen konnte.
»Einen Namen hat sie nicht genannt, aber ich kann sie modellieren.«
»Tun sie es.« Holden sah zu, wie Cohen seine Konstruktionssoftware auf den Hauptbildschirm schaltete. Während der nächsten Minuten schälte sich nach und nach das Ebenbild einer Frau heraus. Natürlich war es einfarbig, und die Haare waren nur ein grob geformter Klumpen, in dem es keine einzelnen Strähnen gab. Doch als Cohen fertig war, zweifelte Holden nicht daran, um wen es sich handelte. Sie hatte sich verändert, aber nicht so sehr, dass er das tote Mädchen nicht erkannte.
Julie Mao.
Es war still im Schiff. Monica und die beiden Kameraleute waren wieder auf dem Kabinendeck eingesperrt, und bei Holdens letzter Kontrolle hatten sie alle zusammen schweigend in der Messe gehockt. Cohens Verrat hatte die Filmleute ebenso überrascht wie ihn, und sie waren immer noch dabei, den Schock zu verdauen. Cohen selbst befand sich in der Luftschleuse, die vorübergehend als Gefängniszelle herhalten musste. Holden nahm an, dass der Mann allmählich in Panik geriet.
Alex war wieder im Cockpit. Amos hatte Cohen in die Luftschleuse gesperrt und war danach in der Werkstatt verschwunden, um düster zu brüten. Holden hatte ihn gehen lassen. Amos war derjenige unter ihnen, dem ein Verrat am stärksten zusetzte. Holden wusste, dass Cohens Leben vor allem davon abhing, ob Amos darüber hinwegkam oder nicht. Wenn Amos beschloss, etwas zu unternehmen, konnte Holden ihn nicht aufhalten. Er fragte sich, ob er es im Zweifelsfall überhaupt wollte.
So saßen er und Naomi allein auf dem Operationsdeck, während sie die letzten Einstellungen vornahm, um die Com-Anlage wieder hochzufahren und zu aktivieren. Nachdem Cohens Wanze entfernt war, wurden die Geräte beim nächsten Neustart hoffentlich nicht mehr gekapert.
Naomi wartete darauf, dass er mit ihr sprach. Quer durch den Raum konnte er an ihren Schultern ablesen, wie angespannt sie war. Er hatte leider keine Ahnung, was er sagen sollte. Ein Jahr lang war Miller immer wieder als verwirrtes Phantom erschienen, das Unsinn von sich gab. Jetzt bekam alles, was Miller im Laufe des Jahres von sich gegeben hatte, das Gewicht düsterer Vorhersagen. Prophetische Rätsel, deren Bedeutung man mühevoll entschlüsseln musste, wenn
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