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Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Titel: Abaddons Tor: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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Haut schälte sich aus dem schmelzenden Schaum heraus wie ein Fossil. Der Uniformstoff hatte sich mit verwesten Körperflüssigkeiten vollgesogen. Der Gestank setzte ihr zu, war aber nicht so grässlich, wie sie es erwartet hatte. Sie hatte sich vorgestellt, sie müsste würgen und weinen, doch so schlimm war es nicht. Als sie ihn an den Beinen fasste, um ihn herauszuziehen, lösten sie sich aus dem Becken. Deshalb schnitt sie die Hosen ab, wickelte die Beine in Tücher und schob sie in die Werkzeugkiste. Innerlich blieb sie dabei gefasst und ruhig wie eine Archäologin, die einen vor Jahrhunderten verstorbenen Menschen ans Licht beförderte. Da war die Wirbelsäule, dort eine stinkende Brühe, wo die Salzsäure nicht mehr vom lebendigen Körper im Magen gehalten worden war, sondern den Magen, die Leber und den Darm aufgelöst hatte. Zuletzt zog sie den Kopf heraus. Rens hellrotes Haar war dunkler geworden und hatte Flecken wie ein uralter Wischmopp.
    Sie legte die Knochen in die Werkzeugkiste, stopfte sie mit den von Körperflüssigkeiten und Lösungsmittel getränkten Tüchern aus, schloss den neuen Sarg, aktivierte die Versiegelung und programmierte das Zahlenschloss. Ihr blieben noch vierzig Minuten.
    Die nächsten zehn Minuten verbrachte sie damit, den Spind, der Rens letzte Ruhestätte gewesen war, gründlich zu säubern, dann zog sie die Handschuhe aus und warf sie in den Recycler. Anschließend badete sie, um den Gestank abzuwaschen, und bemerkte am Rande, dass sie schluchzte. Darauf achtete sie jedoch nicht weiter. Als sie die neue Uniform anzog, hatte das Weinen anscheinend aufgehört. Sie sammelte ihre letzten Habseligkeiten ein, warf sie in einen Reisesack, band das noch feuchte Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen und schleppte Ren in die Ladebucht, wo die anderen Vorräte lagen, die zur Prince befördert werden sollten. Sie hatte keine Zeit mehr, sich von Soledad, Stanni und Bob zu verabschieden. Das tat ihr leid, aber mit dieser Bürde konnte sie leben.
    Insgesamt waren es etwa dreißig Freiwillige. Sie hatte die Männer und Frauen hier und dort auf dem Schiff gesehen, einmal oder zweimal die Namen gehört, ihnen in der Messe oder an den Trainingsgeräten zugenickt. Auf der Prince wurden sie in einen kleinen weißen Konferenzraum geführt, wo die Bänke wie Beichtstühle im Boden verschraubt waren. Der Schub hatte bereits eingesetzt, sie waren zum Ring und zu dem unterwegs, was sich auf der anderen Seite befinden mochte. Während ein übereifriger Kadett sich begeistert über die Thomas Prince ausließ, betrachtete sie die Gesichter der anderen Anwesenden. Ein alter Mann mit zotteligem weißem Bart und eisblauen Augen. Eine stämmige Blondine, wahrscheinlich jünger als Melba, hatte den Lidschatten ungeschickt aufgelegt und machte eine grimmige Miene. Sie alle waren freiwillig angetreten. Oder jedenfalls so freiwillig, wie es die Bestimmungen ihres Arbeitsvertrages vorsahen. Sie alle würden durch den Ring in den Rachen dessen fliegen, was sich auf der anderen Seite herumtrieb. Melba fragte sich, was diese Leute antrieb und welche Geheimnisse sie in ihren Werkzeugkisten herumschleppten.
    »Sie werden jederzeit Ihre ID-Karten mitführen«, erklärte ihnen der Kadett und hielt eine weiße Plastikkarte an einem Umhängeband hoch. »Die Karten erlauben Ihnen den Zugang in Ihre Quartiere, und damit bekommen Sie in der Zivilkantine etwas zu essen. Außerdem erfahren Sie auf diese Weise, ob Sie dort sind, wo Sie sich aufhalten sollen.«
    Die Blondine funkelte Melba böse an. Melba wich ihrem Blick aus und errötete. Sie hatte die Frau nicht anstarren wollen. Man sollte niemals versehentlich unhöflich sein, hatte ihr Vater immer gesagt.
    Die gerade noch weiße Karte des Kadetten färbte sich blutrot.
    »Wenn Sie das hier sehen«, sagte er, »dann wissen Sie, dass Sie sich in einem Bereich aufhalten, den Sie nicht betreten dürfen. Sie müssen ihn sofort wieder verlassen. Machen Sie sich aber deshalb keine Sorgen. Dieses Schiff ist riesig, und manchmal kommen wir alle vom richtigen Weg ab. In der ersten Woche, die ich hier war, habe ich vier Verwarnungen bekommen. Wenn man sich einfach nur geirrt hat, dürfte nicht viel geschehen, aber die Wachleute werden aufmerksam, also passen Sie lieber auf.«
    Melba betrachtete ihre eigene weiße Karte. Sie trug ihren Namen und ein Foto, auf dem sie nicht lächelte. Der Kadett redete gerade darüber, wie sehr man ihre Anwesenheit begrüßte und dass ihr Dienst eine Ehre

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