Abaddons Tor: Roman (German Edition)
für das Schiff und für sie selbst sei. Alle hielten zusammen und bildeten ein einziges großes Team. An dieser Stelle regte sich das erste Mal der Hass auf den Mann in ihrem Bauch. Sie lenkte sich ab, so gut es ging.
Sie wusste nicht, worin letztlich ihre Aufgabe auf der anderen Seite bestehen sollte, aber sie musste auf jeden Fall Holden finden und vernichten. Auch den Tontechniker. Jede Spur, die zu ihr führen konnte, musste zerstört oder unbrauchbar gemacht werden. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, eine falsche Karte zu bekommen, möglichst von jemandem, der eine deutlich höhere Sicherheitsfreigabe als Melba Koh besaß. Jemand, der ein Shuttle betreten durfte. Darum würde sie sich noch kümmern. Sie improvisierte jetzt, und dabei war es wichtig, sich die besten Werkzeuge zu verschaffen, die sie nur finden konnte.
Ringsherum standen die Leute auf. Nach den gelangweilten Mienen und der Stille zu urteilen, begann nun der Rundgang. Sie hatte die Thomas Prince schon einmal besucht und war mit den hohen Decken und den weiten Gängen, wo drei Menschen nebeneinander gehen konnten, bereits vertraut. Natürlich wusste sie nicht auswendig, wo sich alles befand, aber sie würde schon zurechtkommen. Sie schloss sich den anderen an.
»Falls ein Notfall eintritt, begeben Sie sich sofort in Ihr Quartier und schnallen sich an«, erklärte der Kadett. Er ging rückwärts, damit er seinen Vortrag auch während des Rundgangs fortsetzen konnte. Die Neuzugänge bewegten sich ungeschickt und prallten immer wieder gegeneinander wie Kühe. Hinter ihr stieß jemand ein leises Muhen aus, worauf jemand anders lachte. Der Scherz war sogar hier draußen im dunklen Weltraum bekannt, wo es keine Kühe gab.
»Hier drüben ist die Zivilkantine«, sagte der Kadett, als sie durch eine doppelte stählerne Schiebetür traten. »Wer schon einmal hier gearbeitet hat, durfte sich das Essen und den Kaffee möglicherweise in der Offiziersmesse holen, aber da wir jetzt eine militärische Operation durchführen, müssen Sie diese Einrichtung hier benutzen.«
Die Zivilkantine war ein niedriger grauer Kasten mit im Boden verschraubten Tischen und Stühlen. Ein Dutzend Menschen aller Altersgruppen und in allen möglichen Bekleidungen saßen dort herum. Ein schmaler Mann mit unglaublich hellem Haar lehnte an einer gepolsterten Wand und trank aus einem Beutel. Zwei ältere Männer in schwarzen Gewändern und Priesterkragen hockten beisammen wie unbeliebte Schulkinder in der Pause. Melba zog sich schon wieder in sich selbst zurück und ignorierte sie alle, als etwas ihre Aufmerksamkeit erregte. Eine Stimme, die sie kannte.
Fünf Meter entfernt beugte Tilly Fagan sich zu einem älteren Mann vor, der nicht wusste, ob er gereizt reagieren oder mit ihr flirten wollte. Ihre Haare waren toupiert, ihr gehässiges Lachen erinnerte an nicht enden wollende unangenehme Dinnerpartys, an denen beide Familien teilgenommen hatten. Melba empfand eine völlig unpassende Scham, weil sie falsch gekleidet war. Ihr wurde beinahe übel, als einen Moment lang ihr falsches Selbst der alten Clarissa wich.
Mit langsamen, ruhigen Bewegungen zog sie sich auf die andere Seite ihrer Gruppe zurück und machte sich klein, um nicht bemerkt zu werden. Tilly blickte mit unverhohlener Verachtung zu dem schnatternden Kadetten und seiner Herde Techniker herüber, ohne Melba zu bemerken. Nicht dieses Mal. Der Kadett führte sie aus der Kantine hinaus und einen langen Gang hinunter zu ihren neuen Quartieren. Melba löste den Pferdeschwanz auf und ließ das Haar dicht vor dem Gesicht pendeln. Natürlich hatte sie gewusst, dass auf der Prince die Delegation von der Erde reiste, allerdings hatte sie nicht weiter darüber nachgedacht. Jetzt musste sie sich fragen, wie viele andere Menschen an Bord Clarissa Mao kannten. Vor ihrem inneren Auge entstand die Schreckensvision, wie sie um eine Ecke bog und vor Micha Krauss oder Steven Comer stand. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie die Männer überrascht die Augen weit aufrissen, und fragte sich, ob sie sich überwinden konnte, auch sie zu töten. Wenn sie es nicht schaffte, musste sie sich auf den Bau, die Newsfeeds und eine Gefängniszelle wie die ihres Vaters gefasst machen.
Der Kadett redete über ihre Kabinen und teilte die freiwilligen Techniker der Reihe nach ein. Die Räume waren winzig, doch da im Notfall jeder Mensch an Bord eine eigene Druckliege haben musste, konnten sie sich die Quartiere nicht teilen. Sie konnte dort drinnen
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