Abaddons Tor: Roman (German Edition)
mich nicht freiwillig melden.«
»Wozu wollten Sie sich nicht freiwillig melden?« Melba hatte das Gefühl, sie müsse das Mädchen sanft vor einem geistigen Zusammenbruch bewahren, und war klar genug, um die Ironie der Situation zu erkennen.
»Haben Sie die Nachricht nicht bekommen? Von der Einsatzleitung der Vertragsfirmen?«
Melba sah sich über die Schulter um. Ihr Handterminal lag auf der Druckliege, der grüne und rote Streifen auf dem Bildschirm verriet ihr, dass eine Vorrangnachricht auf sie wartete. Sie hob einen Finger, damit Soledad ihr nicht in den Raum und in die Nähe des Spinds folgte, und schnappte sich das Terminal. Die Botschaft war schon vor zehn Stunden eingegangen und mit » DRINGEND « und » ANTWORT ERFORDERLICH « markiert. Melba fragte sich, wie lange sie auf der Druckliege gelegen und sich ihrer Panikattacke hingegeben hatte. Mit einem Daumendruck akzeptierte sie die Nachricht. Aufdringlich wie ein lauter Ruf brach ein Sturzbach von juristischem Kleingedruckten über sie herein.
Die Danis General Contracting betrieb und besaß mehr als die Hälfte der zivilen Begleitschiffe in der Flotte, darunter auch die Cerisier . Nun berief sich der Mutterkonzern auf die Katastrophenbestimmungen des Standardvertrages. Jedes Team war verpflichtet, vorübergehend einen Freiwilligen zum Dienst auf der UNN Thomas Prince abzustellen. Die Bezahlung würde bis zum Auslaufen des Vertrags gleich bleiben, erst danach wurde über Gefahrenzulagen oder Bonuszahlungen entschieden.
Melba musste den Text dreimal lesen, um alles zu verstehen.
»Ich kann da nicht rein«, flehte Soledad irgendwo links neben ihr. Das Gejammer war nervtötend. »Mein Vater … ich habe Ihnen von ihm erzählt. Sie verstehen das sicher. Ihre Schwester war auch dort. Sie müssen Bob oder Stanni schicken. Ich kann das nicht tun.«
Sie wollten Holden schnappen. Sie wollten Holden durch den Ring folgen. Die Panik fiel nicht von ihr ab, sondern fand ein neues Ziel.
»Keiner von euch muss gehen«, erwiderte Melba. »Das mache ich selbst.«
Die offizielle Versetzung war das Leichteste, was sie getan hatte, seit sie an Bord gekommen war. Sie schickte eine Nachricht an den Personaloffizier, nannte ihre ID-Nummer und erklärte sich einverstanden, zur Prince versetzt zu werden. Zwei Minuten später erhielt sie ihre Befehle. Drei Stunden blieben ihr noch, um ihre Angelegenheiten auf der Cerisier zu regeln, das Transportschiff zu besteigen und hinüberzufliegen. Die Zeit war dazu vorgesehen, sich von ihrem Team zu verabschieden und den Wechsel zu erleichtern. Sie hatte allerdings etwas anderes zu tun.
Es war eine Sache, einen Spind mit hoch belastbarer Dichtungsmasse zu füllen. Der Schaum war leicht anzuwenden und blieb wenige Sekunden lang formbar, bis sich der gelbe Kleister golden färbte und aushärtete. Überstehendes Material konnte man noch eine Stunde lang mit einem scharfen Messer abkratzen. Danach half nichts mehr außer dem richtigen Lösungsmittel, und selbst das war ein schmutziger, mühsamer Prozess.
Es kam jedoch nicht infrage, den Toten dort zurückzulassen, wo er leicht gefunden werden konnte. Irgendjemand würde ihre Kabine übernehmen und den Spind benutzen. Außerdem kam es ihr irgendwie falsch vor, Ren nicht mitzunehmen. Zweieinhalb Stunden bevor sie von Bord gehen musste, schleppte Melba schulterlange Gummihandschuhe, drei Kanister Lösungsmittel, eine Rolle Wischtücher und einen vakuumtauglichen großen persönlichen Werkzeugkoffer in ihre Kabine und schloss hinter sich ab.
Zuerst ließ sich die Spindtür nicht öffnen, weil Melba im Rahmen einen Tropfen Dichtmasse übersehen hatte. Ein wenig Lösungsmittel half, und schließlich konnte sie die Tür mit den Fingern aufziehen. Die Dichtungsmasse war inzwischen ein unebener goldener Klotz, der an eine kleine Klippe erinnerte. Sie öffnete die Werkzeugkiste, holte tief Luft und wandte sich dem Grab zu.
»Es tut mir leid«, sagte sie. »Es tut mir wirklich unendlich leid.«
Zuerst schien das aufgesprühte Lösungsmittel überhaupt nichts zu bewirken, wenn man von dem stechenden Geruch absah, aber dann begann die Dichtungsmasse zu knacken, als liefen tausend Insekten über Stein. Anschließend bildeten sich Furchen und Spalten in der Wand, und am Ende lief ein kleines schleimiges Rinnsal herab. Sie rollte einige Putztücher zusammen und legte sie auf den Boden, um den Strom aufzuhalten.
Als Erstes erschien Rens Knie. Die Kniescheibe mit der im Tod schwarz angelaufenen
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